Einbahnstraße Zinssenkung

Erschienen am 31. August 2015

Die Märkte sind inzwischen abhängig von den niedrigen Zinsen wie ein Junkie von seiner täglichen Dosis Heroin. Schon die Angst vor dem Entzug führt zu massiver Unruhe.

Um die Märkte in Aufruhr zu versetzen, braucht es irgendeinen äußeren Anlass – das kann die Konjunktur in China sein oder ein anderes Thema. Aber im Kern geht es nicht darum. Charakteristisch ist ja, dass die Nervosität in dem Moment verschwand, als sich andeutete, dass der für September in Aussicht gestellte Zinsschritt in den USA vielleicht doch ausfällt bzw. „verschoben wird“. Mit dieser „frohen Botschaft“ waren Themen wie die Konjunktur in China oder der Einbruch an der Börse in Shanghai sofort vergessen – Dow, Dax & Co sprangen in die Höhe.

Das ist nicht das erste Mal, dass die Angst vor einer Zinsanhebung zu einem Einbruch führt und das Dementi zu einem Kursfeuerwerk. Zur Erinnerung: Im Juni 2013 hatte der damalige Fed-Chef Ben Bernanke ein Signal für eine geldpolitische Wende gegeben und damit die Märkte in Turbulenzen gestürzt. Mehrere Fed-Vertreter relativierten dann die Äußerungen ihres Chefs und konnten die Märkte beruhigen. Die Zinswende fiel aus.

So ist es auch jetzt wieder: Nach dem weltweiten Einbruch an den Börsen wurden bei der Fed die Stimmen lauter, die deshalb Zweifel anmeldeten, ob die Zinsanhebung im September wirklich zeitgemäß sei. Zunehmend gingen die Marktteilnehmer davon aus, dass die Zinsanhebung verschoben werde. Laut Bloomberg geben Händler dem Zinsschritt im kommenden Monat jetzt nur noch eine Chance von 1:4. Manche erwarten den Zinsschritt für den Dezember, andere erst fürs nächste Jahr. Und der heimliche Traum vieler Markteilnehmer lautet, dass sie verschoben wird auf den St. Nimmerleinstag. Auch der Chefvolkswirt der EZB verkündete vor einigen Tagen, die Europäische Zentralbank sei bereit, bei Bedarf das ohnehin schon hochaggressive, gigantische Anleihe-Kaufprogramm noch zu erhöhen. Auch dies wurde an den europäischen Börsen gefeiert.

Das aber zeigt die fatalen Wirkungen der Niedrigzinspolitik, vor denen ich an dieser Stelle von Anfang an gewarnt hatte: Es handelt sich hier um eine Einbahnstraße. In Europa ist schon gar nicht an eine Zinsanhebung zu denken, denn das würde Italien, Frankreich und andere Länder sofort in massive Schwierigkeiten bringen. Natürlich werden „irgendwann“ die Zinsen wieder steigen – und in den USA sicherlich eher als in Europa. Aber die Furcht der Zentralbanken vor einer Zinsanhebung ist riesengroß, weil sie befürchten, dass ein massiver Aktiencrash zu einer neuen Bankenkrise führen könnte (siehe dazu meinen letzten Kommentar). Das wird natürlich nicht ausgesprochen, aber das ist der eigentliche Hintergrund, warum die Zinswende immer und immer wieder verschoben wird.

Die Angst mancher Immobilieninvestoren vor einer Zinsanhebung in Europa erscheint mir vor diesem Hintergrund hochgradig irrational.


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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.