Erste internationale Studie über Sozialneid:
Wie neidisch sind die Deutschen?

Erschienen am 11. Februar 2019

Deutsche sehen Reiche als egoistisch, materialistisch und rücksichtslos. Zudem neigen Deutsche stärker zum „Sündenbockdenken“ als andere Nationen und geben Superreichen die Schuld an den Problemen dieser Welt. Schließlich reagieren sie eher als Franzosen, Briten und Amerikaner mit Schadenfreude, wenn ein Millionär mit einem Geschäft viel Geld verliert.

Das sind einige Ergebnisse der ersten international vergleichenden Studie zur Einstellung von Europäern und Amerikanern gegenüber Reichen, die vom Institut für Demoskopie Allensbach und von Ipsos MORI in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA durchgeführt wurde. In jedem Land wurden 1000 Personen befragt. Die Ergebnisse sind in meinem soeben im Finanzbuch Verlag veröffentlichten Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen. Vorurteile über eine beneidete Minderheit“ http://die-gesellschaft-und-ihre-reichen.de/ erschienen.

Die Untersuchung zeigt außerdem, dass der Sozialneid gegen reiche Menschen in Frankreich noch stärker ausgeprägt ist als in Deutschland und sogar doppelt so stark wie in Großbritannien. Zwar hegen Amerikaner deutlich weniger Sozialneid gegen Reiche als Deutsche und Franzosen. Eine Ausnahme sind indes junge Amerikaner, bei denen der Sozialneid sehr viel stärker ist als im Durchschnitt der amerikanischen Gesellschaft.

Den Befragten wurden 15 Fragen mit Dutzenden Unterpunkten zu ihrer Einstellung zu reichen Menschen gestellt. „Anhand von mehreren Fragen haben wir eine Skala gebildet, die zeigt, wie stark Menschen Sozialneid empfinden“, so Thomas Petersen von Institut für Demoskopie Allensbach. Basierend auf Ergebnissen der wissenschaftlichen Neidforschung wurde Neid definiert als Haltung, die auf eine Schlechterstellung des Beneideten zielt, auch wenn der Neider dadurch selbst keine Vorteile hat. Der Anteil der Sozialneider ist in den Ländern sehr unterschiedlich. Während in den USA und Großbritannien 48 bzw. 49 Prozent der Menschen nicht zum Sozialneid neigen, sind es in Deutschland nur 34 und in Frankreich sogar nur 27 Prozent. In Großbritannien empfinden 18 Prozent der Befragten ausgeprägten Sozialneid gegen Reiche, in Frankreich sind es mit 34 Prozent fast doppelt so viele.

Setzt man die Zahl der Menschen mit ausgeprägtem Sozialneid und jener, die weniger oder keinen Sozialneid empfinden, ins Verhältnis, dann ergibt sich der Sozialneidkoeffizient. Er zeigt, wie das Verhältnis von Neidern und Nicht-Neidern in einem Land ist: Bei einer Zahl über 1 überwiegt die Zahl der Neider, bei einer Zahl unter 1 überwiegt die Zahl der Nichtneider. Am stärksten ausgeprägt ist der Sozialneid demnach in Frankreich, am schwächsten in Großbritannien:

Junge und ältere Amerikaner unterscheiden sich stark
Ein auffälliges Ergebnis der Studie war jedoch dass junge Amerikaner Reichen sehr viel kritischer gegenüberstehen als ältere Amerikaner. Der Aussage, Reiche seien „gut im Geldverdienen, aber in der Regel keine anständigen Menschen“ stimmen nur 15 Prozent der Amerikaner über 60 Jahren zu, bei jungen Amerikanern unter 30 Jahren beträgt die Zustimmung dagegen 40 Prozent. Auch bei allen anderen Fragen zeigten sich junge Amerikaner deutlich stärker Reichen-kritisch als ältere Amerikaner. In Deutschland ist es umgekehrt – wenn die Unterschiede hier auch nicht so ausgeprägt sind: Junge Deutsche sehen Reiche positiver als ältere Deutsche.

Deutsche sehen Reiche als egoistisch, materialistisch und rücksichtslos Gefragt wurde auch, welche Eigenschaften die Menschen besonders häufig bei Reichen vermuten. Am häufigsten wurden in Deutschland Egoismus, Materialismus und Rücksichtslosigkeit genannt. Nur 17 Prozent der Deutschen kennen jedoch persönlich einen oder mehrere Millionäre gut. Als Millionäre wurden in der Befragung Menschen definiert, die zusätzlich zur eigenen Immobilie noch mindestens eine Million Euro (Pfund/Dollar) Vermögen haben. Die Menschen, die einen Millionär kennen, beurteilen diesen ganz anders als der Durchschnitt der Bevölkerung. Sie sehen diesen Millionär vor allem als fleißig, intelligent und einfallsreich. Hier der Unterschied zwischen Nahbild und Fernbild von Millionären:

In der Studie wird die „Kompensationstheorie“ entwickelt, nach der viele Menschen dazu neigen, Reichen im Bereich „moralischer Werte“ negative Eigenschaften zuschreiben, um damit ihr Selbstwertgefühl zu schützen: Sie schreiben anderen Menschen, die ihnen auf irgendeinem Gebiet überlegen sind, auf anderen Gebieten Minuspunkte zu, damit sie sich mit ihnen wieder gleich fühlen oder sich über sie stellen können.

Deutsche neigen stark zum Sündenbockdenken
Deutsche sind besonders anfällig für „Sündenbockdenken“. „Als Sündenbockdenken bezeichnet man in der Vorurteilsforschung die Haltung, die Schuld für Probleme und Krisen bei Minderheiten zu suchen“, so Zitelmann. In Deutschland gibt jeder zweite Befragte Superreichen die Schuld an vielen der großen Probleme dieser Welt:

Wähler von SPD, Linken und AfD neigen zur Schadenfreude
Eine Frage, die in allen Ländern gestellt wurde, sollte zeigen, wie stark Menschen zur Schadenfreude neigen, wenn ein Millionär durch ein riskantes Geschäft viel Geld verliert. Es ist vielleicht kein Zufall, dass das deutsche Wort ‚Schadenfreude’ in die englische Sprache übernommen wurde. Denn das einzige Land, in dem die Zahl der Schadenfreudigen höher ist als derjenigen, die keine Schadenfreude empfinden, ist Deutschland.

Unterschiede gibt es jedoch je nach Parteipräferenz. Während von den Wählern der SPD, der Linken und der AfD etwa die Hälfte Schadenfreude äußert, wenn ein Millionär Geld verliert, lag der Anteil bei Anhängern von Grünen, FDP und CDU/CSU bei einem Drittel:

Reiche in Hollywoodfilmen
Eine Spezialanalyse in dem Buch „Die Gesellschaft und ihre Reichen“ befasst sich mit der Darstellung von Reichen in Hollywoodfilmen. Analysiert wurde eine Stichprobe aus den umsatzstärksten Kinofilmen der letzten 28 Jahre, in denen reiche Personen eine wichtige Rolle spielten. In drei Viertel der untersuchten Filme wurden Reiche mit einem negativen Charakter dargestellt, während die jeweilige nicht-reiche Kontrastperson in mehr als drei Viertel dieser Filme mit einem positiven Charakter dargestellt wurde.

Die vollständige Studie umfasst 456 Seiten und erscheint am 11. Februar im Finanzbuch-Verlag unter dem Titel: Rainer Zitelmann, Die Gesellschaft und ihre Reichen. Vorurteile über eine beneidete Minderheit. Inhaltsverzeichnis und Leseproben finden Sie hier:
http://die-gesellschaft-und-ihre-reichen.de/

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.