Gerhart Baum (85) schied vor zwei Jahrzehnten aus dem Bundesvorstand der FDP aus, ist aber in diesem Jahr wohl der am häufigsten eingeladene „FDP-Politiker“ in Talkshows. Sein Lieblingsthema ist seit Jahrzehnten das Gleiche, nämlich die Verharmlosung von Kriminalität.
Gestern war Baum mal wieder Talkshow-Gast, diesmal bei Maischberger. Wie zu erwarten, erklärte er die Angst der Menschen vor Kriminalität für überwiegend eingebildet. Eine Frau, die mit ihren Töchtern Opfer bei der Kölner Silvesternacht war, fragte er: „Wie kann man Ihnen die Angst nehmen?“ Die Menschen, die Angst vor Kriminalität haben, verhöhnte er – die wollten wieder „zurück zum Stammesfeuer“. Der Rechtsstaat funktioniere wunderbar in Deutschland, es gäbe höchstens einzelne Schwachstellen (die er aber nicht benannte). Jede Kritik am Versagen des Staates kanzelte er als primitive „Polizeischelte“ oder „Justizschelte“ ab.
Unterstützt wurde er in der Sendung von einem „Kriminalitätsexperten“, der die absurde These vertrat, in Wahrheit hätten die Deutschen Angst wegen der politischen Entwicklungen in Polen und Ungarn und wegen der Globalisierung – und würden diese frei flottierenden Ängste irrationalerweise am Thema Kriminalität festmachen.
Ich empfehle Gerhart Baum und dem „Kriminalitätsexperten“ mal ein Gespräch mit Polizisten, Richtern oder Staatsanwälten, beispielsweise in Berlin. Richter und Staatsanwälte stellten vor wenigen Monaten in einem Brandbrief fest, dass die Berliner Justiz „am Abgrund“ stehe. Die Vereinigung der Berliner Staatsanwälte konstatierte, ein funktionierendes Rechtssystem sei in der Hauptstadt nicht mehr vorhanden. Die Berliner Richter bestätigen dies: In einem dramatischen Brief des Landgerichtspräsidiums an die Justizverwaltung hieß es: „Wir wissen nicht, wie wir die Eingänge verteilen sollen.“ 19 von 21 Strafkammern haben demnach Überlastung angezeigt, wegen der Engpässe ist die rechtzeitige Eröffnung von Hauptverhandlungen vier Monate nach der Anklage gefährdet. Die Staatsanwaltschaft („Wir sind am Ende, wir können nicht mehr“) befürchtet Freilassungen von tatverdächtigen Kriminellen aus der Untersuchungshaft: „Eine tat- und schuldangemessene Ahndung von Straftaten ist beim Landgericht nicht mehr zu erwarten.“
Nach Baum ist das offenbar alles „gefühlte Angst“ ohne jeden realen Bezug.
Die FDP kann nichts dafür, wenn „Ehemalige“ wie Baum und Leutheusser-Schnarrenberger, die in der Partei nichts mehr zu melden haben und die immer noch dem gescheiterten Wunschbündnis mit den Grünen hinterhertrauern, ständig von den Talkshows eingeladen werden. Aber wo sind die profilierten FDP-Politiker, die dem Blödsinn, den Baum erzählt, öffentlich widersprechen?
Ich empfehle ihm, in den Beitrag hereinzuhören, den der FDP-Politiker Otto Fricke vor einigen Tagen bei Facebook gepostet hat – damit er sieht, wie absurd seine These ist, dass die Justiz in Deutschland so toll funktioniert:
http://www.deutschlandfunk.de/berliner-verwaltungsgericht-stau-bei-klagen-gegen.1773.de.html?dram:article_id=415256
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