Internationale Presseschau: Reiche werden immer mehr zum Sündenbock in der Corona-Krise

Erschienen am 3. April 2020

Quelle: Titelseite von DER WESTEN

In jeder Krise suchen die Menschen nach Sündenböcken. Das war schon immer so in der Geschichte. Krisen und Epidemien schüren Angst, Unsicherheit, aber auch Aggressionen. Zielscheibe dieser Aggressionen sind meist andere Nationen oder Minderheiten. In Italien beispielsweise richten sich Aggressionen gegen Deutsche, deren angeblich mangelnde Hilfsbereitschaft in der Corona-Krise (z.B. Ablehnung von Eurobonds) in Verbindung mit der nationalsozialistischen Zeit gebracht wird. Insbesondere zu Beginn der Corona-Krise wurden in vielen Ländern asiatisch aussehende Menschen angefeindet. Jetzt werden immer stärker Reiche zum Ziel von Aggressionen.

Corona: Polemik gegen Kapitalismus und Reiche

In linken Medien wie „Freitag“, „Neues Deutschland“ oder „taz“ wird der Kapitalismus verantwortlich gemacht für die Corona-Krise oder erklärt, die Krise beweise, wie unfähig die Marktwirtschaft sei, mit einer Pandemie fertig zu werden. SPD und Linke fordern eine einmalige „Corona-Abgabe“, also eine Steuer für die Reichen zur Finanzierung der Corona-Bekämpfung. Verschwörungstheoretiker verbreiten im Internet die Legende, Bill Gates, einer der reichsten Menschen der Welt, habe das Virus gemacht, um Geld an den Impfstoffen zu verdienen – in Wahrheit hat er vor fünf Jahren vor dem Virus gewarnt, aber leider hat die Politik nicht auf ihn gehört. Die Polemik von Verschwörungstheoretikern, die den Kapitalismus oder die Reichen für die Corona-Krise verantwortlich machen, insbesondere in sozialen Medien, ist inzwischen so stark, dass sich sogar „BILD“ veranlasst sah, einen großen Artikel zu veröffentlichen, in dem den Lesern dargelegt wurde, dass der Kapitalismus nicht am Corona-Virus schuld sei.

„Der Westen“ überschreibt einen Artikel mit der Überschrift: „Superreiche und Corona: So asozial verhalten sich jetzt viele Milliardäre.“ In dem Artikel wird eine Twitter-Nachricht zitiert, in der es heißt: „Der beste Weg für den durchschnittlichen Amerikaner, herauszufinden, ob er Covid-19 hat, ist, einer reichen Person ins Gesicht zu husten und auf dessen Testergebnis zu warten.“ Damit habe er „die Stimmung vieler Amerikaner auf den Punkt“ gebracht. Der Artikel schürt Stimmungen gegen die Reichen, die in der Krise Privilegien hätten. „Das Corona trifft uns alle! Weltweit! Aber trifft es auch alle gleich? Nein. Denn Selbstisolation, Home Office und zwei Meter Abstand zu Mitmenschen sind immer noch ein Privileg der Wohlhabenden. In den USA spiegelt sich das dann darin wieder, dass die Upper Class fluchtartig New York verließ und sich in ihre Sommerhäuser an der Küste verbarrikadierte. Mehr Platz als in den Großstadt-Wohnungen, weniger Pandemie-Viren – und obendrein noch Meerblick. Wer es sich leisten kann, der nimmt dieser Tage den Privatjet. Dem TV-Sender CNBC zufolge boomt die Nachfrage. Schon jetzt häufen sich Berichte, wonach Reiche bei den Corona-Teste bevorzugt wurden.“

Superreiche werden für Krisen verantwortlich gemacht

Aus der wissenschaftlichen Vorurteilsforschung wissen wir, dass Minderheiten oft zu Sündenböcken für Probleme der Gesellschaft gemacht werden. Für die Studie „Die Gesellschaft und ihre Reichen“

wurde in einer internationalen Befragung untersucht, wie verbreitet Vorurteile gegen Reiche sind und wie die Bereitschaft ist, sie als Sündenböcke bei großen Krisen anzuprangern. Den Befragten wurde diese Aussage vorgelegt: „Superreiche, die immer mehr Macht wollen, sind schuld an vielen Problemen auf der Welt, z.B. an Finanzkrisen oder humanitären Krisen.“ In Deutschland stimmten 50 Prozent der Befragten zu, in Frankreich 33 Prozent, in den USA 25 und in Großbritannien 21 Prozent. Interessant war jedoch vor allem folgender Befund. Personen, die großen Sozialneid hegen, stimmten weit häufiger dieser Aussage zu als die Gruppe der „Nicht-Neider“. In den USA unterstützten beispielsweise 57 Prozent der Sozialneider, aber nur 12 Prozent der Nichtneider dieses Statement. Auch in den anderen Ländern war die Zustimmung der Neider sehr viel höher als die der Nicht-Neider (Deutschland 62 gegen 36 Prozent, Frankreich 46 gegen 17 Prozent, Großbritannien 44 gegen 10 Prozent).

Bevorzugung bei Tests?

Aktuell macht sich die Anti-Reichen-Stimmung in den USA und Großbritannien vor allem daran fest, dass Reiche und Prominente besseren Zugang zu Conora-Tests hätten als andere Menschen. Bill de Blasio, der derzeit wegen seines Auftretens in der Corona-Bekämpfung beliebte Bürgermeister von New York, brachte die Stimmung gegen Prominente und Reiche zum Ausdruck, als er sagte, dass “an entire NBA team should not get tested for Covid-19 while there are critically ill patients waiting to be tested. Tests should not be for the wealth, but for the sick.” De Blasio gehört zum dezidiert linken Flügel der Demokraten in den USA. Der Unmut über die angebliche Bevorzugung von Reichen ist so stark, dass vor einigen Tagen sogar Donald Trump bei einer Pressekonferenz gefragt wurde, ob “the well-connected go to the front of the line”. Gemeint war eine Bevorzugung bei Corona-Tests. “You’d have to ask them that question,” antwortete er und fügte hinzu: “Perhaps that’s been the story of life. That does happen on occasion, and I’ve noticed where some people have been tested fairly quickly.”

Die „New York Times“ brachte einen großen Artikel unter der Überschrift: „Need a Coronavirus Test? Being Rich and Famous May Help.“ In dem Artikel heißt es: „A shortage in testing has left sick people and health care workers around the U.S. without answers. Yet the list of celebrity patients grows every day, raising questions about privileged access.“ Natürlich ist es kritikwürdig, wenn einige Personen – vielleicht aufgrund guter Beziehungen – leichter an Tests kommen. Aber man hat das Gefühl, dass diese Sache herausgehoben wurde, um bestehende Ressentiments gegen Reiche zu schüren. Daneben werden zahlreiche andere „Belege“ gegen die Reichen angeführt, die vermutlich nur für eine Minderheit von ihnen zutreffen, so etwa die Flucht in „Doomsday Bunkers“.

„Doomsday Bunker“

Die amerikanische Boulevardzeitung „NY Post“ schürt ebenfalls Neid und Ressentiments gegen Reiche: „Most people are stocking up on hand sanitizer and toilet paper, but the super-rich have adopted more extreme measures to ward off the coronavirus – including preparing doomsday bunkers, according to reports.“

Ein Beispiel: „Survival Condo owner Larry Hall bought the obsoleted silo in 2008 and converted it into a state-of-the art residence that offers “virtual windows,” a gym, pool, movie theaters, shooting range and a five-year supply of food and water, according to Vice. “The mission is to protect residents from a whole wide range of threats,” Hall told Vice. “Everything from viral or bacterial threats and chemicals to volcanic ash, meteors, solar flares and civil unrest.” On its website, Survival Condo lists a full-floor suite package for $3 million.

“This ‘Package’ is much more than just a ‘Survival Condo Unit.’ This ‘Package’ includes mandatory training, a three-year per person food supply, fully furnished and custom designed interior, special equipment for registered members, computer access to condo systems, and much more,” it says.

Großbritannien: Polemik gegen die „arroganten Superreichen“

Die für ihren reißerischen Stil bekannte britische Boulevardzeitung „The Sun“ überschreibt einen Kommentar: „The arrogant super-rich have no right to spend their way out of the coronavirus crisis – we’re all in this together.“ In dem Artikel heißt es: „As the coronavirus pandemic sweeps across the world, some celebrities, millionaires, and members of the business class seem to believe that their wealth can be used as a form of vaccination while the rest of us face the deadly risk of infection. Such behaviour is entirely against the public spirit of the moment. This is a time for unity and for respecting others, especially the most vulnerable.“ Das Boulevardblatt erinnert an den Zweiten Weltkrieg, als sich Aggressionen gegen Reiche richteten: „During the Second World War, when the Blitz spirit was at its peak, there was fierce hostility to rich individuals who tried to cheat on rationing regulations or avoid national service. The same contempt should now be shown to those who try to dodge the rules that promote fairness.“

Dabei geht es nicht nur im Test: „But it is not just in testing where the narrow self-centredness of the rich can be found. They use their wealth to insulate themselves in other ways. Some are buying special private medical care, like intravenous infusions of vitamins and minerals to boost their immune system. Lansherhof, a private medical facility at the London Arts Club, reported this week an 18 per cent increase in enquires for its Immune Plus Support Infusion, which costs £300. The rich are also using private jet travel to avoid the rest of the public as they conduct business or fly to remote havens.“

In der linken britischen Tageszeitung „The Guardian“ heißt es, dass die Superreichen angeblich bereits in Privatjets unterwegs zu ihren privaten Bunkern mit ihren Privatärzten seien:„The world’s richest people are chartering private jets to set off for holiday homes or specially prepared disaster bunkers in countries that, so far, appear to have avoided the worst of the Covid-19 outbreak. Many are understood to be taking personal doctors or nurses on their flights to treat them and their families in the event that they become infected.“ Ob das seltene Ausnahmen sind oder häufig vorkommt, bleibt unklar – und spielt natürlich auch keine Rolle, wenn es darum geht „die Reichen“ auf die Anklagebank zu setzen.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.