Da waren Angela Merkel und die anderen EU-Politiker am Freitag total überrascht und schockiert. Sigmar Gabriel sagt, er sei „entsetzt“ über das Verhalten von Tsipras. Damit, so hieß es in allen Medien, habe niemand gerechnet. Die Überraschung spiegelt jedoch nur die vorherige grandiose Fehleinschätzung der griechischen Regierung wider. Völlig zu Recht schreibt gestern die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG:
„Selten haben sich Regierungen und politische Beobachter so grundlegend getäuscht wie in ihrem Urteil über die derzeitige griechische Regierung. Nach der Wahl vom 25. Januar erwarteten sie mehrheitlich, dass der neue Ministerpräsident bald beidrehen und einen beträchtlichen Teil seiner Ankündigungen aus dem Wahlkampf wieder vergessen werde. Das geschah allerdings nicht.“ Soweit die FAS, 28. Juni, S. 26.
Direkt nach dem Wahlsieg von Tsipras, am 2. Februar 2015, warnte ich an dieser Stelle schon eindringlich vor der verbreiteten Fehleinschätzung der neuen Regierung. Ich schrieb damals:
„Bürgerliche Politiker haben in der Geschichte stets die Irrationalität von Ideologen unterschätzt. Weil sie es selbst gewohnt sind, erstens mehr oder minder rational zu denken und zweitens vor dem Wahlkampf Versprechungen zu machen, von denen sie danach nichts mehr wissen wollen, projizieren sie dieses Verhalten – fälschlicherweise – auch auf Ideologen wie Alexis Tsipras und seinen linksradikalen Wirtschaftsprofessor. Die Geschichte lehrt uns: Bevor extremistische Ideologen an die Macht kamen, beruhigten sich bürgerliche Politiker stets damit, es werde nach der Wahl nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wurde. Einmal an der Macht, so die naive Hoffnung, würden die Extremisten bald vernünftig und von ihren wirren Theorien abrücken. Die Wahlkampfparolen würden bald vergessen und eine realistische Politik träte an ihre Stelle. Nun müssen die europäischen Politiker aus diesen Wunschträumen aufwachen.“
Soweit das, was ich am 2. Februar 2015 geschrieben habe – und leider habe ich Recht behalten damit. Schlimm ist, dass jeder vernünftige Mensch schon vor fünf Jahren, bei Beginn der „Griechenland-Rettung“ voraussehen konnte, wie die Sache ausgehen wird. Damals glaubten die Politiker, mit einigen vorübergehenden Finanzhilfen werde das Problem bald gelöst sein. Auch das war ein grandioser Irrtum. Konnte man damals nicht wissen, was passieren wird? Doch, man konnte. Vor mehr als fünf Jahren, am 15. Februar 2010 schrieb ich an dieser Stelle wörtlich Folgendes:
„Da die Rettung mit empfindlichen Auflagen für Griechenland verbunden sein wird, ist die Reaktion der Griechen schon vorauszusehen: Nationalistische und sozialistische Ressentiments gegen Europa und insbesondere gegen die Deutschen, werden angeheizt. Die Schuld für die notwendigen Sparmaßnahmen wird man nicht sich selbst geben – die Griechen haben lange über ihre Verhältnisse gelebt und haben sich nur durch Betrug den Beitritt zum Euro erschlichen -, sondern den anderen europäischen Staaten und insbesondere den Deutschen…. Obwohl der Euro eigentlich die politische Einigung der Europäer befördern sollte, führt er auf diesem Wege zur Spaltung Europas und zu massiven inneren Konflikten in der Euro-Zone. Es handelt sich bei der Griechenland-Rettung also wieder einmal um eine jener ‚alternativlosen‘ Maßnahmen, die den Keim künftiger Krisen und Zerstörungen in sich trägt.“
Leider ist auch all das, was ich im Februar 2010 geschrieben habe, in den darauf folgenden fünf Jahren genau so eingetreten. Dabei hatte Angela Merkel noch am 28. Februar 2010 versprochen: „Wir haben einen Vertrag, der die Möglichkeit eines Bailouts anderer Nationen ausschließt.“ Stimmt. Aber dieser Vertrag wurde gebrochen. Seitdem wurden von den EU-Ländern bzw. der EZB mehrere Hundert Milliarden für die „Griechenland-Rettung“ ausgegeben, so viel wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte für die „Rettung“ eines Schuldners ausgegeben wurde.
Wozu das alles? Wozu die Tausenden Verhandlungsstunden, wozu die Milliardenhilfen? Griechenland steht heute schlechter da als damals. Griechenland ist wirtschaftlich und politisch ein gescheitertes Land. Es gibt keine positive Perspektive – weder mit dem Euro noch mit der Drachme.
Ein Vergleich: Wie würden Sie die Zukunftschancen einer Firma einschätzen, die folgende Merkmale hat?
Die Firma hat kein taugliches Geschäftsmodell mehr.
Sie ist ihren Wettbewerbern hoffnungslos unterlegen.
Sie sucht die Schuld dafür nicht bei sich selbst, sondern immer bei anderen.
Sie lehnt konsequente Kostensenkungen ab.
Sie hat aber auch keine einzige Idee für neue Produkte.
Sie ist völlig überschuldet.
Das Management betreibt seit Jahren Insolvenzverschleppung.
Das Management hat immer wieder die Bilanzen gefälscht.
Das Management ist unerfahren und agiert vollkommen realitätsfern.
Das Management beschimpft die Anleihengläubiger der Firma.
Würden Sie einer solchen Firma immer neue Gelder leihen bzw. für sie bürgen?
Doch Griechenland ist nicht das Problem. Im Gegenteil: Der Euro wäre schon heute sehr viel schwächer, wenn nicht alle Marktteilnehmer gebannt nur auf Griechenland schauen würden. Die eigentlichen Probleme liegen in Italien und Frankreich. Sobald das den Marktteilnehmern bewusst wird, wird der Euro massiv fallen. Deshalb bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass es besser ist, einen deutlichen Anteil des Geldes im Dollar zu halten.