Ministerpräsident Tarek Al-Wazir?
Hessen könnte Grün-Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün werden

Erschienen am 19. Oktober 2018

Laut den letzten Umfragen könnte es in Hessen rechnerisch für ein Zusammengehen von Grünen, SPD und Linken reichen. Meine Prognose: Wenn es reicht, werden sie es tun. Der nächste Ministerpräsident von Hessen könnte Tarek Al-Wazir heißen.

Gestern veröffentlichten Infratest dimap und die Forschungsgruppe Wahlen Umfrageergebnisse, nach denen SPD, Grüne und Linke zusammen 49 bzw. 50 Prozent der Stimmen bei der Hessenwahl auf sich vereinen könnten. Das würde voraussichtlich für eine Mehrheit der Sitze im Hessischen Landtag ausreichen.

Rechnerisch wären freilich auch andere Koalitionen möglich. SPD, Grüne und FDP kämen nach den Ergebnissen beider Institute gemeinsam auf 50 Prozent. Eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen käme klar auf eine Mehrheit von 56 bzw. 55 Prozent der Stimmen, was mit Sicherheit auch eine Mehrheit der Mandate bedeuten würde.

Die Frage, was in Hessen geschehen wird, hängt also von verschiedenen Faktoren ab:

  1. Wird die FDP für ein Bündnis mit SPD und Grünen bereit stehen? Zwar hat die FDP das nur indirekt und nicht direkt ausgeschlossen, aber die FDP in Hessen ist traditionell eher rechts als links und ich rechne nicht damit, dass sie mit SPD und Grünen zusammengehen würde. Jamaika mit CDU und Grünen würde die FDP jedoch machen.
  2. Die SPD ist in Hessen traditionell sehr weit links. Bereits 2008 wäre es fast zu einer Rot-Grünen Regierung mit Duldung der Linken gekommen. Bei der Landtagswahl am 27. Januar 2008 verlor die CDU ihre absolute Mehrheit und die SPD wurde mit 0,1 Prozentpunkten Abstand zweitstärkste Partei nach der CDU. Die damalige SPD-Vorsitzende von Hessen Andrea Ypsilanti strebte nach der Wahl eine von der SPD geführte Regierungsbildung unter Beteiligung der Linken an. Eine solche Rot-Rot-Grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken stand zwar eindeutig im Gegensatz zu Aussagen Ypsilantis vor der Wahl, mit denen sie wiederholt jedwede Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen hatte. Nach der Wahl meinte sie jedoch, sie habe es sich anders überlegt. Dieser Wortbruch sorgte bundesweit für Empörung. Am 3. November 2008 kündigten vier Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion an, bei der für den 4. November geplanten Wahl zur Ministerpräsidentin nicht für Ypsilanti zu stimmen. Sie musste daraufhin zurücktreten. Doch das ist Vergangenheit: Diesmal haben weder SPD noch Grüne ein Zusammengehen mit der Linken ausgeschlossen. Die SPD ist im Bund im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren weit nach links gerückt. Der Druck des linken Kühnert-Flügel, der eindeutig für Rot-Rot-Grün steht, wird immer stärker. Vor allem: Aus Sicht dieser Genossen wäre eine Rot-Rot-Grüne oder auch eine Grün-Rot-Rote Regierung das befreiende und mobilisierende linke Signal gegen die verhasste Groko in Berlin. Selbst wenn es rechnerisch für eine Koalition aus SPD und CDU in Hessen reichen würde (was derzeit eher unwahrscheinlich erscheint), so ist es sehr unwahrscheinlich, dass die SPD diesen Weg gehen würde, denn die „Große Koalition“ ist in der Partei inzwischen regelrecht verhasst. Für die SPD wäre es im Falle einer hauchdünnen Mehrheit mit der CDU wahrscheinlicher, dass es bei der Wahl eines CDU-Ministerpräsidenten Abweichler aus den eigenen Reihen gibt als bei einer hauchdünnen Mehrheit von SPD, Grünen und Linken.
  3. Wie steht es mit den Grünen? Gestern in der ZDF-Talkshow Maybritt Illner weigerte sich der Grünen-Chef Robert Habeck, ein Zusammengehen mit SPD und Linken auszuschließen. Schwarz-Grün oder gar Jamaika ist für meisten Grünen nach wie vor eine Notlösung; ihr Herz schlägt links und sie präferieren ideologisch ein Zusammengehen mit SPD und Linken statt mit den „Neoliberalen“ von der FDP. Und falls die Grünen in dieser Konstellation – anders als bei Jamaika – vielleicht sogar mit Tarek Al-Wazir den Hessischen Ministerpräsidenten stellen könnten (wenn sie nämlich die SPD knapp überholten, wie das etwa die Forschungsgruppe Wahlen erwartet), dann ist klar, wofür sich die Grünen entscheiden würden. Selbst bei einer nur hauchdünnen Mehrheit von Grünen, SPD und Linken von nur einem oder zwei Mandaten könnten es die Grünen wagen – trotz des Restrisikos, dass es, so wie vor zehn Jahren, Abweichler aus den Reihen von einer der drei linken Parteien gibt. Denn wenn die Wahlprognosen sich als richtig herausstellen, würde es für eine Koalition aus CDU und SPD wahrscheinlich rechnerisch nicht reichen und die Grünen würden somit auf jeden Fall für eine Regierungsbildung gebraucht. Sollte es mit Rot-Rot-Grün nicht klappen, könnten sie danach immer noch eine Jamaika-Koalition bilden.
  4. Und die Linken? Sie wären überglücklich, wenn sie mitregieren dürften und würden der SPD und den Grünen mit Sicherheit keine unzumutbaren Bedingungen stellen.

Ergebnis: Es besteht die reale Gefahr einer Grün-Rot-Roten oder Rot-Rot-Grünen Regierung in Hessen. Für die SPD würde dies euphorisierend wirken – Kevin Kühnert & Co wären begeistert, denn das ist genau die (bundesweit fehlende) Machtperspektive, von der sie träumen. Es wäre für sie ein klares Signal, dass die SPD sich endgültig von der „Agenda“-Politik abgewendet hat und könnte sogar das Aus für die GroKo in Berlin befördern.

Leider schreckt Rot-Rot-Grün (anders als noch vor zehn Jahren) die meisten Wähler nicht mehr. Und dies, obwohl ein Blick auf die Hauptstadt, wo SPD, Linke und Grüne zusammen regieren, jedem zeigen könnte, was für katastrophale Folgen dies hat – ob im Bereich der Wohnungspolitik, der Bildungspolitik oder der inneren Sicherheit. Leider sind die katastrophalen Zustände in diesen Bereichen außerhalb der Hauptstadt jedoch kaum bekannt. Man sollte den Wählern in Hessen in der letzten Woche vor den Wahlen genau davon berichten.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.