Ökonomen überschätzen langfristige Corona-Folgen

Erschienen am 9. Mai 2020

Bei großen, überraschenden und einschneidenden Ereignissen überschätzen wir oft die Langfristfolgen. Eine Umfrage unter führenden deutschen Ökonomen zeigt, dass das auch bei der Corona-Krise so sein könnte.

„Die Welt“ hat eine sehr interessante Umfrage unter führenden deutschen Ökonomen über die Auswirkung der Corona-Krise (man müsste genauer sagen: über die Auswirkungen von Corona und der Corona-Bekämpfung) gemacht.

Die meisten stimmen darin überein: Es bleibt nichts wie früher, Corona wird auf Jahrzehnte unsere Wirtschaft massiv beeinträchtigen.

Marcel Fratzscher vom DIW meint, die Corona-Krise werde „ein einschneidendes Erlebnis auf Jahre und Jahrzehnte hinaus bleiben“; Gabriel Felbermeyer vom IfW erklärt, die Corona-Krise werde ein „tiefer Einschnitt sein, der noch über viele Jahre und sogar Jahrzehnte nachwirke“; Dalia Marin von der TU München prophezeit gar, es bleibe „nichts wie früher“. Lediglich Michael Hüther vom IW ist zurückhaltender und sagt, die Welt werde „nicht auf den Kopf gestellt durch die Pandemie“.

Überraschende Schocks werden oft überbewertet

Ich habe den Eindruck, dass die meisten Ökonomen die Auswirkungen übertrieben sehen. Wir neigen oft dazu, die langfristigen Auswirkungen von großen, einschneidenden, überraschenden Ereignissen zu übertreiben. Ich kann mich noch an Terroranschlag des 11. September erinnern, als es überall hieß, ähnliche Ereignisse würden sich jetzt häufig wiederholen, es habe quasi ein neues Zeitalter des Terrors begonnen, nichts werde wieder wie früher sein. Als die ISIS-Terrroristen mit schrecklichen Taten die Welt in Atem hielten, hörte man, es werde viele Jahrzehnte dauern, bis ISIS besiegt sei. Heute hört man kaum noch etwas von dieser Terrorgruppe.

Die wahren Gefahren werden verdrängt

Ich denke, dass es Entwicklungen in unserer Gesellschaft gibt, die langfristig viel gefährlicher sind als die Corona-Krise und die staatlichen Reaktionen darauf. Dazu zähle ich die sukzessive Zurückdrängung von Marktwirtschaft zugunsten planwirtschaftlichen Denkens, die wir in vielen Ländern beobachten können, besonders stark in Deutschland. Wenn etwa die deutsche Automobilindustrie, Energiewirtschaft und Wohnungswirtschaft sukzessive in eine Planwirtschaft verwandelt werden, dann hat das langfristig gravierendere Auswirkungen als die vorübergehende Schließung von Gaststätten und Hotels.

Diese gefährlichen Entwicklungen verlaufen eher schleichend und – anders als bei Corona – nehmen viele Menschen sie gar nicht wahr. Beispiel Automobilindustrie: Die deutsche Automobilindustrie war erfolgreich, solange Unternehmen (und damit letztlich Konsumenten) bestimmten, was produziert wird. In Zukunft soll das nach dem Willen der Politik nicht mehr so sein: „Flottenziele“ die in Brüssel festgelegen werden, entscheiden, welche Autos in welcher Menge produziert werden.

Corona könnte ein Katalysator sein, der die gefährliche Tendenz einer Abkehr vom Kapitalismus – also: weniger Markt, mehr Staat – begünstigt. Die meisten Intellektuellen, viele Politiker und auch manche Ökonomen wünschen sich genau dies. Bei Marcel Fratzscher ist offenbar dieser Wunsch der Vater des Gedankens, wenn er formuliert: „Die Krise könnte das Ende des Neoliberalismus – der Dominanz des Marktes über den Staat – bedeuten und Regierungen zwingen, eine nachhaltigere, zukunftsorientierte Politik zu verfolgen – nicht nur bei der Bekämpfung von Pandemie.“

Weder Corona noch die Art, wie die Politik darauf reagiert hat, werden die Welt über Jahrzehnte verändern und erschüttern. Aber wenn der Kampf gegen Corona als Vorwand genommen wird, den Markt weiter zugunsten planwirtschaftlichen Denkens zurückzudrängen, dann ist dies hochgefährlich für die Wirtschaft.

Zitate führender deutscher Ökonomen

Hier die Stimmen, die „Die Welt“ von führenden Ökonomen zusammengetragen hat:

Marcel Fratzscher, DIW: „Die Corona-Krise wird ein einschneidendes Erlebnis auf Jahre und Jahrzehnte hinaus bleiben und unser Denken und hoffentlich auch unser Handeln grundlegend verändern.“

Gabriel Felbermeyer, IfW: „Die Corona-Krise wird ein tiefer Einschnitt sein, der noch über viele Jahre und sogar Jahrzehnte nachwirkt.“

Clemens Fuest, ifo: „Sie wird als tiefste Wirtschaftskrise seit der weltweiten Depression in Erinnerung bleiben.“

Achim Wambach, ZEW: „Kein Lehrbuch der Wirtschaftsgeschichte wird daran vorbeikommen. Dies ist vermutlich der tiefste Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. Und für viele Unternehmen der Zwang, sich neu zu erfinden oder zumindest ganz anders zu arbeiten und zu produzieren als vorher. Die Wirtschaftsstruktur wird sich durch die Krise ändern.“

Dalia Marin, TU München: „Das Ergebnis: Die Firmen holen ihre Produktion nach Hause und produzieren mit Robotern. Es bleibt nichts wie früher. Zerbrochene Lieferketten legen auch nahe, dass die vorhergesagte V-Erholung nicht eintreten wird. Wenn einmal eine Lieferkette an einem Glied bricht, dann bricht das gesamte Produktionsnetzwerk zusammen.“

Wohltuend von diesen wohl übertriebenen Panikgesängen unterscheiden sich zwei Stimmen:

Michael Hüther IW: „Aber die Welt wird nicht auf den Kopf gestellt durch die Pandemie.“

Veronika Grimm, Sachverständigenrat: „Wie das aktuelle Geschehen bewertet wird, muss die Zukunft zeigen.“

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.