Opportunist Söder und der Machtkampf ohne Inhalt

Erschienen am 18. April 2021

Markus Söder bemüht sich im Kampf mit Armin Laschet nicht einmal den Anschein zu erwecken, es gehe auch um Inhalte. Er ist der Prototyp des prinzipienlosen Opportunisten, für den die Macht reiner Selbstzweck ist.

Bei innerparteilichen Auseinandersetzungen geht es fast immer auch um die Macht, aber beim Kampf Söder gegen Laschet geht es um nichts anderes – inhaltliche Unterschiede zwischen den Kontrahenten sind nicht zu erkennen. Das ist das Besondere an diesem Machtkampf: Dass nicht einmal versucht wird, den Anschein zu erwecken, es gehe dabei auch um irgendwelche Inhalte bzw. um die Frage, wie sich die Union positionieren soll.

Laschet steht schon seit Jahren für eine Fortsetzung der Merkel-Linie. Und sein Kontrahent Markus Söder bemüht sich eifrig, Laschet in der Merkel-Treue sogar noch zu überbieten. Wenn die Kanzlerin in den letzten Monaten irgendetwas sagte, konnte man sich sicher sein, dass sich Söder wenige Minuten später zu Wort meldet, um eindringlich zu unterstreichen, wie recht die Kanzlerin habe. Offenbar ging er davon aus, dass Merkel in der Union im Hintergrund weiterhin die Strippen zieht und hoffte, durch maximale Anbiederung an sie – ganz im Stil einer Ursula von der Leyen oder eines Peter Altmaier – ihre Unterstützung im Machtkampf zu gewinnen.

Der Mann ohne Überzeugungen

In der Flüchtlingskrise sah es noch so aus, als ob Söder für eine andere Union stünde. Er kritisierte immer wieder Angela Merkels Kurs, forderte einen besseren Schutz der Außengrenzen und wandte sich gegen die These, der Islam gehöre zu Deutschland. Ja, er forderte sogar, die bayerischen Schüler sollten am Unterrichtsbeginn die Nationalhymne singen und stellte das derzeitige Asylrecht in Frage. Auch in der Griechenland-Krise hatte er einen Kontrapunkt zu Merkel gesetzt und den Grexit als fairsten und ehrlichsten Weg bezeichnet.

Doch im Nachhinein wird klar, dass all dies keineswegs auf irgendwelchen Überzeugungen beruht hatte, sondern nur der Versuch war, der AfD Stimmen wegzunehmen. Nachdem die CSU jedoch bei den Landtagswahlen im Oktober 2017 mit 37,2 Prozent ein schlechtes Ergebnis erzielte (2013 hatte sie mit 47,7% die absolute Mehrheit der Mandate geholt), änderte Söder rasch den Kurs. Da die Grünen bei der Landtagswahl mit 17,6 Prozent die eindeutigen Sieger waren und es Söder auch nicht gelungen war, die AfD mit seinem Kurs zu schwächen (sie bekam 10,2 Prozent) schwenkte er jetzt auf einen dezidiert grünen Kurs um. Nachdem das bayerische Volksbegehren „Rettet die Bienen“ 2019 einen sehr großen Erfolg errungen hatte (es war mit 1,7 Millionen Unterschriften das bisher erfolgreichste Volksbegehren in Bayern), übernahm Söder dieses als Gesetzgebungsvorhaben der Staatsregierung und ließ sich dabei weder von seinem Koalitionspartner Freie Wähler noch durch Kritik von Bauern und aus der eigenen Partei irritieren. Söder wollte demonstrativ zeigen, dass er ganz und gar auf grünem Kurs ist. Dass Politiker (so wie die meisten Menschen) Überzeugungen zuweilen ändern, ist nicht per se kritikwürdig. Aber bei Menschen, die von einem Tag auf den anderen radikal ihre „Überzeugungen“ ändern, liegt der Verdacht nahe, dass sie gar keine besitzen.

Merkel als Vorbild

Söders großes Vorbild ist jetzt Angela Merkel, die sich bekanntlich auch niemals durch irgendwelche Überzeugungen stören ließ, sondern die nur ein einziges Ziel kannte und kennt: Macht um der Macht. Von außen erschien es manchem Beobachter sogar so, als ob Söder sie darin noch übertroffen habe. Joachim Behnke etwa schrieb im „Spiegel“: „Merkels pragmatischer Opportunismus hat immer solche ‚rote Linien’ gekannt, die auch aufgrund kurzfristiger Vorteile nicht leichtfertig geopfert werden dürfen. Söders Opportunismus jedoch kennt keine solchen Grenzen.“ Die bayerische Landeskorrespondentin des „Spiegel“ Anna Clauß schrieb in ihrer Söder-Biografie, er folge der politischen Großwetterlage „wie ein Möbelpacker. Der interessiert sich auch nicht für ferne Ziele, sondern ordnet in Kisten ein, was vor ihm liegt, und trägt sie weg, wenn sie im Weg stehen.“ Für Söder gilt, was auf dem Grünen Wahlprogramm 2021 steht: „Alles ist drin“. Man mag das als Versprechen oder als Drohung empfinden.

Die CSU, die einst mit Politikern wie Franz-Josef Strauß und vor allem Peter Gauweiler für konservative Inhalte stand, ist heute eine Partei der Wendehälse und Opportunisten. Über Seehofer muss man nichts mehr sagen – seine Wandlung vom Merkel-Kritiker in der Flüchtlingskrise zum Merkel-Lobredner ist nur noch peinlich. Auch über seinen Kabinettskollegen, den CSU-Politiker Andreas „Maut“ Scheuer, muss man nichts mehr sagen. Und da ist noch Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, ein überzeugter Antikapitalist, bei dem es mir schon lange nicht mehr gelingt, inhaltliche Differenzen zur Linkspartei festzustellen. Söder repräsentiert diese Partei des Opportunismus also ganz ausgezeichnet.

Selbstvermarktung als Kernkompetenz

Sein eigentliches Talent ist die Selbstvermarktung. Die „Süddeutsche Zeitung“ nannte ihn schon 2010 einen „Meister der Selbstvermarktung“, der sich vor allem auf eines verstehe: „Sich ins Gespräch zu bringen. Sich als eine Marke aufzubauen.“ So wie andere Selbstvermarkter, die ihre Haartracht zum Markenzeichen machten (Boris Johnson, Donald Trump) legte er sich in der Corona-Krise auch eine helmähnliche Sturmfrisur zu, die, zusammen mit der Corona-Maske mit Bayerischer Raute, die wilde Entschlossenheit seiner markigen Sprüche im Kampf gegen das Virus noch unterstreichen sollte.

Söder bemühte sich im Kampf gegen Laschet nicht einmal den Anschein zu erwecken, es gehe auch um Inhalte. Er hat nur ein Argument, das freilich ein starkes ist: Seine im Vergleich zu Laschet ausgezeichneten Umfragewerte. Und jene Opportunisten, die bislang die treuesten Merkel-Lakaien waren, glauben schon die Zeichen der Zeit zu erkennen und biedern sich jetzt bei Söder an: Peter Altmaier und der Mann von der Saar, Tobias Hans.

Und wie sieht Merkels Position aus? Ich habe hier seit über einem Jahr die Meinung vertreten, sie werde in letzter Minute erklären, dass sie doch noch einmal für die nächste Legislaturperiode antritt. Habe ich mich geirrt? Oder heizt sie den Machtkampf aus dem Hintergrund an, um dann im richtigen Moment einen Daniel Günther oder Volker Bouffier vorzuschicken, der sie bittet, angesichts der verfahrenen Situation (und natürlich, weil sie zur Bewältigung der Corona-Krise schlichtweg unverzichtbar sei) noch einmal anzutreten. Hoffentlich ist das nur ein Albtraum.

Rainer Zitelmanns Klassiker „Wohin treibt unsere Republik? Wie Deutschland links und grün wurde“, ist kürzlich in einer Neuauflage erschienen.

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