Sahra Wagenknecht ist sicherlich die deutsche Politikerin, die sich am besten auf die Kunst der Selbstvermarktung versteht. „Anders sein als die anderen“, also ein USP finden, das sie von anderen deutlich unterscheidet, ist eine Linie, die sich durch die gesamte Biografie zieht. Dazu gehört insbesondere auch die gezielte Provokation.
Provokation – gegen den Strom
Wagenknecht hat schon immer gerne provoziert. In der DDR stand sie zuweilen quer zum System, dürfte deshalb nicht studieren. Erst im Frühsommer 1989 trat sie der SED bei – gewiss kein Zeichen von Opportunismus.
In der später zu PDS und „Die Linke“ umgetauften Partei stand sie als Anführerin der Kommunistischen Plattform zunächst für einen dezidiert kommunistischen Kurs und profilierte sich gegen Reformer wie Lothar Bisky und Gregor Gysi. Noch 1995 schrieb der SPIEGEL unter der Überschrift „Stalins Geist“: „Wagenknecht geißelt die Entspannungspolitik Willy Brandts als ‚Teil des gegen den Sozialismus geführten Kalten Krieges’. Mit Stalins Tod habe der ‚politisch ideologische Verfall’ des Kommunismus begonnen. Die ‚Frau mit den kalten Augen’ (Bisky) plädiert auch heute für das Prinzip der Kaderpartei und bekämpft linke Reformpolitik als ‚opportunistisch’. Ihre Kommunistische Plattform, eine von 24 PDS-Arbeitsgemeinschaften, ist die Keimzelle des Widerstands gegen Biskys Reformpläne.“ Zwischen 1995 und 2000 musste sie für fünf Jahre aus dem Vorstand ihrer Partei ausscheiden, weil Gregor Gysi sie für so untragbar hielt, dass er mit seinem Rückzug gedroht hatte.
Später dann wandelten sich ihre Positionen. Sie distanzierte sich von früheren positiven Äußerungen über den sowjetischen Diktator Josef Stalin und sprach jetzt von „sozialer Marktwirtschaft“. Sie zitiert inzwischen sogar Ludwig Erhard – wenngleich der sich sicherlich im Grabe herumdrehen würde, wenn er hören könnte, was Wagenknecht unter „sozialer Marktwirtschaft“ versteht. Was geblieben ist, ist ihr tiefes Misstrauen gegen den Markt und ein dezidierter Antikapitalismus.
Jetzt provozierte sie vor allem in der eigenen Partei mit kritischen Äußerungen zur Zuwanderung. Sie wandte sich gegen die im Programm der Linken erhobene Forderung für offene Grenzen. Innerparteiliche Kritiker warfen ihr vor, rechtspopulistische Positionen zu vertreten, dafür erhielt sie zuweilen Zuspruch von AfD-Politikern. Dafür kann sie nichts, aber ihre Positionen zur Zuwanderung trugen dazu bei, dass sie immer wieder Aufmerksamkeit generierte und von Menschen, die sonst nichts mit der „Linken“ am Hut haben, durchaus positiv gesehen wurde: Sie sei nur in der falschen Partei, so heißt es oft aus bürgerlichen Kreisen.
Äußere Markenzeichen
Zur gekonnten Selbstvermarktung gehört auch, dass sich jemand vom äußeren Erscheinungsbild deutlich abhebt. Oft spielt dabei die Frisur eine Rolle: Bei Karl Lagerfeld war es der gepuderte Zopf, bei Trump ist es die verrückte goldglänzende Haarpracht und von Einstein sagt man, er habe vor Fototerminen sein weißes Haar durcheinandergewirbelt, um den typischen Einstein-Look des genialen Professors zu unterstreichen. Und Greta Thunbergs Markenzeichen sind die Zöpfe.
Wagenknechts Frisur wird immer wieder mit Rosa Luxemburg in Verbindung gebracht. Wagenknecht selbst bestreitet dies: Sie habe die Friseur schon mit 16 Jahren so gewählt, als sie sich noch nicht für Politik interessierte. Dass sie die Rosa-Luxemburg-Frisur beibehalten habe, liege daran, weil sie im normalen Politikalltag „einfach keine Zeit habe, die Haare aufwendig in Form zu föhnen“. Aber: Egal ob absichtlich so gemacht oder nicht, die Markenwirkung war jedenfalls da, die Assoziation zu Rosa Luxemburg passte hervorragend zu ihrem selbstgewählten Image.
Die „Welt“ schrieb über Wagenknecht, dass sie „seit zwanzig Jahren ihrem an Rosa Luxemburg angelehnten Look treu (bleibt), Veränderungen nur in Nuancen… Die Marke Wagenknecht, sofort erkennbar wie Micky Maus oder Marilyn Monroe. Sahra Wagenknecht trägt Dreiviertelrock (ein deutscher Stilblog befand dies als ‚dörflich’), auffällige Kette, hochgestecktes Haar.“
Im vergangenen Jahr traf sie sich mit dem Modedesigner Wolfgang Joop und beide philosophierten vor großem Publikum in Berlin über die Bedeutung von Mode, wobei Wagenknecht selbst damit kokettiert, sie habe „keine Ahnung von Mode“. Vom Kleidungsstil und vom äußeren Erscheinungsbild passt sie nicht zum Klischee von linken und grünen Politikerinnen. Sie kleidet sich eher so, wie man es sich bei einer konservativen oder liberalen Politikerin vorstellen würde. Das trägt dazu bei, dass sie in Umfragen eine der beliebtesten deutschen Politikerinnen ist, deren Wirkung weit über ihre eigene Anhängerschaft hinausreicht. Jedenfalls ist sie äußerlich der Gegenentwurf zu der jüngst als Richterin am Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern gewählten Barbara Borchardt. Beide verbindet aber außer der Parteizugehörigkeit, dass sie im Jahr 2006 zu den Gründerinnen der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften „Antikapitalistischen Linken“ gehörten.
Ihre radikalen Positionen werden weniger beachtet
Unbemerkt bleibt dabei, dass Wagenknecht bis heute radikale sozialistische Positionen vertritt. Noch vor vier Jahren pries sie gemeinsam mit dem Co-Vorsitzenden der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch, den verstorbenen kubanischen Diktator Fidel Castro: „Er stand für eine bessere Welt“, so meinte sie. Zustimmend zitierte sie Danielle Mitterand, die Frau des früheren französischen Präsidenten, die über Castro sagte: „Aus diesem Mann macht man einen Teufel. Dabei ist er durch und durch ein Demokrat, der sein Volk liebt und sein Volk liebt ihn.” Wie absurd ist es, einen kommunistischen Diktator – Fidel Castro -, der ein Einparteiensystem einführte und Andersdenkende foltern ließ, als “durch und durch Demokrat” zu bezeichnen? Die Aufregung wäre zu Recht groß, wenn beispielsweise ein führender AfD-Politiker Augusto Pinochet bescheinigte, dieser sei “durch und durch ein Demokrat” gewesen. Doch die öffentliche Empörung über Wagenknechts Äußerung blieb aus. Nach dem Tod von Hugo Chávez, dem venezolanischen Staatschef, pries Wagenknecht auch ihn als “großen Präsident”, der “mit seinem ganzen Leben für den Kampf um Gerechtigkeit und Würde stand”. Wagenknecht schwärmte, Chávez habe bewiesen, dass ein “anderes Wirtschaftsmodell möglich sei”. Würde? Die Menschen in Venezuela leiden noch heute unter diesem “anderen Wirtschaftsmodell”, das ihnen nur Hunger und Elend gebracht hat. Sieht so Wagenknechts wirtschaftspolitische Alternative aus? Das Land mit den größten Ölreserven der Welt leidet als Folge der von Wagenknecht gepriesenen Wirtschaftspolitik unter der höchsten Inflation der Welt, mehr als zehn Prozent der Bevölkerung sind bereits geflohen. Ist es das, was Wagenknecht mit “sozialer Gerechtigkeit” meint?
PR, PR, PR
Meister der Selbstvermarktung kennen die Macht der PR. Das trifft für alle in meinem Buch „Die Kunst, berühmt zu werden“ dargestellten Personen zu: Muhammad Ali, Arnold Schwarzenegger, aber auch Albert Einstein und Stephen Hawking, Karl Lagerfeld und Ophra Winfrey – sie alle waren PR-Genies und verwandten, wie ich in dem Buch belege, einen Großteil ihrer Zeit auf Gespräche mit Journalisten und die Inszenierung von PR-Ereignissen. Eine Auswertung der Häufigkeit der Talkshowauftritte in den vier großen wöchentlichen Polit-Talks „Anne Will“, „Hart aber fair“, „Maischberger“ und „Maybrit Illner“ ergab, dass niemand so kontinuierlich unter den häufigsten Talkshowgästen war wie Wagenknecht: In den Jahren 2016 und 2017 lag sie sogar an der Spitze, im vergangenen Jahr – trotz Burnout-bedingter Auszeit – immerhin noch auf Platz 4.
Gezielte Provokation, Entwicklung äußerer Markenmerkmale, um sich von anderen zu unterscheiden, eine Besessenheit vom Thema PR und hochprofesioneller Umgang mit den Medien: All das sind Merkmale jener Personen, die ich in meinem Buch als „Genies der Selbstvermarktung“ bezeichne – und dazu gehört mit Sicherheit auch Sahra Wagenknecht.
Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe und Verfasser des soeben erschienenen Buches „Die Kunst, berühmt zu werden“.