Sahra Wagenknechts Globalisierungskritik

Erschienen am 21. Mai 2020

Die Corona-Krise hat zu einer neuen Welle populärer Globalisierungskritik geführt. Sahra Wagenknecht springt auf diesen Zug auf.

Sahra Wagenknecht hat in der Vergangenheit schon häufig kräftig daneben gelegen mit ihren ökonomischen Ratschlägen. Vor sieben Jahren pries sie Venezuelas Hugo Chávez als „großen Präsidenten“, der „mit seinem ganzen Leben für den Kampf um die Gerechtigkeit und Würde stand“. Chávez, so Wagenknecht, habe bewiesen, dass ein „anderes Wirtschaftsmodell möglich sei“.

Die hungernden Menschen in Venezuela müssen es als Hohn empfinden, wenn diese Version des Sozialismus als vorbildlich empfunden wird. Und sein Wirtschaftsmodell als positives Beispiel anzuführen, an dem wir uns orientieren sollten, ist geradezu absurd (nebenbei: Wagenknechts in der Hauptstadt regierende Genossen machen seit einigen Jahren genau dies.)

Wagenknecht nimmt jetzt in der Corona-Krise die Gelegenheit auf, die Anti-Globalisierungs-Stimmung zu schüren. In einem Gastbeitrag für Focus fordert sie:

„Deshalb ist es Zeit für eine Grundsatzdebatte. Ist die Globalisierung, wie sie sich seit den 1980er Jahren mehr und mehr durchgesetzt hat, Fluch oder Segen? Wer profitiert, wer verliert? Sollen wir versuchen, sie über die Krise zu retten, oder ist es im ureigenen Interesse Deutschlands, andere Wege zu gehen?“

Wer profitiert von der Globalisierung?

Ja, wer profitiert von der kapitalistischen Globalisierung seit den 80er Jahren? Niemals in der Geschichte sind Hunger und Armut auf der Welt so rasch und dramatisch zurückgegangen wie genau in diesem Zeitraum. Der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt sank von 44,3 Prozent im Jahre 1981 auf heute unter zehn Prozent.

Wagenknecht weiß das natürlich auch und verschweigt es nicht, aber diese Tatsache wird in ihrem langen Artikel nur in wenigen kargen Sätzen erwähnt, die beeindruckenden Zahlen lässt sie lieber ganz weg. Sie schreibt: „„Profitiert hat dagegen die Mittelschicht aufstrebender Schwellenländer, vor allem Südostasiens. Hohe Zugewinne für große Teile der Bevölkerung gibt es in China.“

Doch dann kommt sie zur eigentlichen Botschaft. Denn dass 1,25 Milliarden Menschen bitterster Armut entkommen sind, ist für sie weniger wichtig als die Tatsache, dass die Zahl der Milliardäre gestiegen ist und hoch qualifizierte Menschen in Europa und Amerika profitiert haben: „Der größte Gewinner der Globalisierung aber sind die reichsten 1 Prozent der globalen Einkommenspyramide, darunter der internationale Club der Milliardäre, deren Vermögen geradezu explodiert ist, aber auch eine neue gehobene Akademikerklasse, die in den trendigen Innenstadtvierteln der westlichen Metropolen lebt und in hochbezahlten Dienstleistungsberufen von Beratung, Finanzen und IT bis zu Webdesign und Werbung arbeitet.“

Die Emotion des Neides, die sich gegen Milliardäre richtet, ist spürbar stärker als die Emotion der Empathie für mehr als eine Milliarde Menschen, die der Armut entronnen sind. Wagenknecht, die – wie alle Linken – dem Nullsummenglauben anhängt, wonach der Reichtum der Reichen auf der Armut der Armen beruht, versteht nicht, dass die Tatsache, dass mehr als eine Milliarde Menschen bitterer Armut entronnen sind und gleichzeitig die Zahl der Milliardäre so stark gestiegen ist wie noch nie, kein Widerspruch ist, sondern nur zwei Seiten einer Medaille. Das eine bedingt das andere, wie das Beispiel Chinas belegt.

Das Beispiel China

Wagenknecht kommt auch auf das Beispiel Chinas zu sprechen: „Chinesische Stadtbewohner haben kaufkraftbereinigt mittlerweile ein höheres Einkommen als die Einwohner Rumäniens, Lettlands oder Litauens. Es geht nicht darum, das chinesische Modell zu glorifizieren. …Aber es hat, statt sich unseren Regeln der Globalisierung zu unterwerfen, einen eigenständigen Weg gefunden, dank dessen das Wachstum schneller verlief und mehr Menschen zugutekam als in jedem anderen Land.“

China als Beispiel für ihre sozialistischen Ideen und für ihre Kritik an der Globalisierung anzuführen, ist geradezu absurd. Denn Chinas Erfolgsweg ist nicht dem Protektionismus zu verdanken, sondern der zunehmenden Öffnung für die Weltwirtschaft, die in den 80er Jahren mit Deng Xiaopings Reformen begann. Deng verstand mehr von Wirtschaft als Wagenknecht, denn er gab damals die Parole aus: „Lasst erst einmal einige reich werden“. Er drängte sukzessive den Staatseinfluss zurück, führte das Privateigentum ein, gab dem Markt mehr Raum, öffnete China für den Welthandel und lobte Menschen, die reich werden wollen. Deng verfolgte genau das gegenteilige Rezept von Wagenknecht, die für mehr Staatseinfluss, mehr Protektionismus und weniger Markt steht.

Wagenknecht beklagt, dass die Zahl der Milliardäre auf der Welt so stark zugenommen habe. Aber sie nahm nirgendwo auf der Welt so stark zu wie in China! Und zugleich nahm die Zahl der Armen in China so stark ab, wie nirgendwo sonst auf der Welt. Vor Beginn der marktwirtschaftlichen Reformen lag die Zahl der extremen Armen in China bei 88 Prozent, heute sind es unter einem Prozent. Damals gab es keinen einzigen Milliardär in China, heute gibt es dort so viele wie in keinem anderen Land der Welt, mit Ausnahme der USA.

Schadet der Freihandel?

Wagenknecht versteht nicht die Vorteile für des Freihandels, ihre Lippenbekenntnisse zum Freihandel sind nicht überzeugender als ihre Lippenbekenntnisse zur Marktwirtschaft. Sie versteigt sich sogar zu der These, „nicht Freihandel, sondern Protektionismus hat beide Länder reich gemacht“ – sie meint die USA und Deutschland.

Tatsache ist: Im frühen 19. Jahrhundert waren die Armutsraten selbst in den damals reichsten Ländern höher, als sie es heute in den armen Ländern sind. In den USA, Großbritannien und Frankreich lebten 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung in Zuständen, die wir heute als extreme Armut bezeichnen. In Skandinavien, Österreich-Ungarn, Deutschland und Spanien lebten ungefähr 60 bis 70 Prozent in extremer Armut. Und zwischen 10 und 20 Prozent der europäischen und amerikanischen Bevölkerung wurden offiziell als Bettler und Vagabunden bezeichnet. Wurde diese Armut durch Protektionismus beseitigt, wie Wagenknecht uns weiß machen will? Das ist absurd. Der Grund war die Entwicklung des Kapitalismus, der die Armut wirksamer beseitigt hat als alle sozialistischen Parolen. Der Wohlstand entstand nicht wegen, sondern trotz des Protektionismus in einigen Bereichen der Wirtschaft.

Anhänger des Freihandels haben Entscheidendes zur Bekämpfung der Armut beigetragen – während alle sozialistischen Experimente auf der Welt ohne Ausnahme gescheitert sind. Der wohl einflussreichste Freihandelsaktivist in der Geschichte war der Brite Richard Cobden (1804 – 1865). Cobden kam als viertes von elf Kindern eines armen Bauern zur Welt. Seine Mission war der Einsatz für den Freihandel, der Arbeiter und Arme vom Joch des Protektionismus befreite und erheblich zur Verbesserung der Lebensbedingungen für breite Schichten der Bevölkerung beitrug

Freihandel ist vor allem deshalb nützlich, weil er die internationale Arbeitsteilung erleichtert. Denn die Grenzen der Arbeitsteilung liegen in der Größe des Marktes – je größer der Markt ist, desto mehr Menschen können miteinander kooperieren. Die immer präzisere Spezialisierung ist ein entscheidender Motor des Wachstums und Fortschritts. Schon Adam Smith zeigte, dass Freihandel den Markt vergrößert und damit mehr Arbeitsteilung ermöglicht.

Natürlich gibt es auch Globalisierungsverlierer. Es mag sein, dass 100 amerikanische, minder qualifizierte Arbeiter im internationalen Wettbewerb verlieren und aus der Mittelschicht absteigen. Wenn deshalb gleichzeitig 1000 Chinesen bitterster Armut entrinnen und in die Mittelschicht aufsteigen, dann können damit nur Nationalisten und Egoisten ein Problem haben. Es verwundert nicht, dass Wagenknecht in das gleiche Horn bläst wie Trump und Höcke, die an die Ressentiments der Verlierer appellieren.

Früher setzten sich Linke für die Menschen in der Dritten Welt ein. Heute ist ihnen das Schicksal dieser Menschen egal, sie sehen alles nur noch aus der Perspektive von wirklichen oder vermeintlichen Globalisierungsverlierern in reichen Ländern.

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.