Schäuble bei Maischberger: „Den Preis muss man zahlen, wenn man Europa stärker will“

Erschienen am 25. Februar 2021

Sandra Maischberger hatte gestern Wolfgang Schäuble zu Gast und ihm die wichtigste Frage gestellt, die selten so klar formuliert wird. Schäuble macht eine entlarvende Äußerung.

Bravo, Frau Maischberger! Selten hat jemand die entscheidende Frage zur „europäischen Lösung“ bei der Impfstoffbeschaffung so glasklar formuliert: Der deutsche Staat hat seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgern verletzt und vermeidbare Todesfälle provoziert. Maischberger wörtlich: „Als Bürger hat man doch ein Recht darauf, dass der Staat zumindest nicht vermeidbare Todesfälle in Kauf nimmt oder provoziert. Und da sind wir beim Impfen an einem wirklich wunden Punkt. Beim Impfen kann man doch sagen, dass der Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Bürger nicht richtig wahrgenommen hat. Denn jede Impfung, die zu spät kommt, die nicht vergeben wird, kann bedeuten, dass jemand zu Tode kommt und das ist unnötig, wenn wir auf die anderen Länder um uns herum blicken.“

Schäuble antwortete darauf: „Naja, ich meine zunächst einmal, ich habe schon gesagt, der Gesundheitsminister hat früh darauf hingewiesen, was eigentlich selbstverständlich ist, wir werden nicht gleich für alle haben. Zweitens, auch heute in der Debatte ist auch von Oppositionsfragestellern gesagt worden: Es nützt ja nichts, wenn wir in Deutschland das Virus besiegen oder wie man das nennt. Deswegen war der Ansatz richtig, es in Europa weit zu beschaffen, obwohl der ein bisschen komplizierter ist. Den Preis muss man zahlen, wenn man Europa stärker will. Europa ist ein bisschen komplizierter, muss man auch sagen.“

Man muss diese Frage und Antwort auseinandernehmen. Maischberger fragt, ob der Staat seine Fürsorgepflicht gegenüber den Bürgern verletzt und dadurch vermeidbare Todesfälle provoziert habe. Schäuble antwortet zunächst mit Plattitüden: es sei doch klar, dass man nicht gleich für alle genug Impfstoff haben werde und dass es nichts nütze, wenn man nur in Deutschland das Virus besiege. Dann räumt er ein, dass die Impfstoffbeschaffung in Europa komplizierter ist, um zu der zentralen Aussage zu kommen: „Den Preis muss man zahlen, wenn man Europa stärker will.“ Der Preis, das hatte Maischberger gesagt, waren zusätzliche, vermeidbare Todesfälle. Und warum muss man diesen Preis zahlen? Um Europa zu stärken, so Schäuble.

Maischberger setzte daraufhin an, etwas einzuwerfen, aber man kann nur ahnen, was sie sagen will, weil Schäuble ihr über den Mund fährt. Sie beginnt: „Das heißt also, wenn wir in Europa sind, nehmen wir…nehmen wir….“ Vielleicht wollte sie Schäuble auf den Punkt bringen und wiederholen, dass man nach seiner Ansicht um Europa willen den vermeidbaren Tod von Menschen in Deutschland in Kauf nehmen müsse. Schäuble ließ sie nicht zu Wort kommen, redete weiter und betonte, man solle in Deutschland so viel Impfstoff bestellen wie möglich, um einen großen Beitrag dazu zu leisten, die ganze Welt zu impfen.

Schäubles Äußerung ist kein Einzelfall

Schäubles Sicht, man müsse zur Stärkung Europas in Kauf nehmen, dass Menschen in Deutschland später geimpft werden, hatte unlängst bereits die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Beitrag für die FAZ vertreten: „Auch ich stelle mir diese Fragen jeden Tag: Hätten wir schneller sein können? Und wäre ein einzelner Mitgliedstaat schneller gewesen?… Ja, es dauert vielleicht länger, Entscheidungen zu 27 zu treffen als allein. Aber stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn am Anfang nur ein oder zwei Mitgliedstaaten Impfstoffe erhalten hätten. Das wäre für einige große Staaten wie Deutschland denkbar gewesen. Aber was hätte das für unsere Einheit in Europa bedeutet? Diese Abkehr von unseren europäischen Werten hätte nicht wenige gestärkt, sondern alle geschwächt. Das wäre an die Grundfesten Europas gegangen.“ In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 5. Februar sagte von der Leyen, mit Blick auf die Kritik, dass die EU den Impfstoff zu zögerlich bestellt habe: „Natürlich: Ein Land kann ein Schnellboot sein. Und die EU ist mehr ein Tanker.“

Mit diesen Äußerungen haben von der Leyen und Schäuble zugegeben, dass die Impfstoffbeschaffung durch einzelne Länder schneller gegangen wäre als durch die EU. Beide haben damit klipp und klar ausgesprochen:

1. Die Impfstoffbeschaffung durch die EU („europäische Lösung“) hat länger gedauert und war komplizierter als es gewesen wäre, wenn Deutschland sich den Impfstoff alleine beschafft hätte (wie das etwa die Briten getan haben).

2. Sie sagen beide, diesen Preis müsse man für den europäischen Gedanken zahlen. Wie dem europäischen Gedanken dadurch gedient ist, dass man den Bürgern unseres Landes erklärt, sie müssten zur Stärkung Europas vermeidbare Todesfälle infolge fehlenden Impfstoffes in Kauf nehmen, bleibt das Geheimnis von Schäuble und von der Leyen. Mich ärgert, dass auch diejenigen Politiker, die das Versagen bei der Impfstoffbeschaffung kritisieren, darauf beharren, die „europäische Lösung“ sei an sich richtig gewesen. Nein, dieser Ansatz war falsch. Und er resultiert – so wie bei anderen Fehlentscheidungen, etwa bei der Flüchtlingskrise 2015 – daraus, dass für deutsche Politiker allerhöchste Priorität die Sorge hat, nicht von irgendjemandem als „Nationalisten“ gescholten zu werden, in diesem Fall als „Impfstoffnationalisten“. So verhindert ideologisches Denken pragmatische Lösungen und kostet damit Menschenleben.

Hier die Sendung in der Mediathek: „Das Erste“ – Mediathek

 

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