Sind Abgeordnete mit hohen Nebeneinkünften ein Problem?

Erschienen am 26. März 2021

In der aktuellen Debatte werden zwei Dinge vermengt: Korruption, die zu verurteilen ist, und hohe Nebeneinkünfte von Abgeordneten, die oft sogar ein Segen sind, weil sie deren Unabhängigkeit sichern.

In der aktuellen Debatte, die durch den „Maskenskandal“ einiger Unionspolitiker ausgelöst wurde, wird Wirtschaftsferne zur höchsten Tugend umgedeutet. Demnach sind die GRÜNEN die tugendhafteste Partei, gefolgt von der LINKEN und der SPD. Denn laut Angaben von „Abgeordnetenwatch“ haben nur 15% der GRÜNEN-Bundestagsabgeordneten meldepflichtige Nebeneinnahmen, gefolgt von der LINKEN (19%) und der SPD (20%). Auch die AfD würde demnach mit 21% zu den Tugendhaften gehören. Am anderen Ende sind die FDP mit einem Anteil von 53% Abgeordneten mit meldepflichtigen Nebentätigkeiten, gefolgt von der CSU (46%) und der CDU (32%).

Wer Abgeordnete mit hohen Nebeneinkünften verteidigt, macht sich unbeliebt. Ich schreibe diesen Artikel trotzdem und sehe schon all die empörten Kommentare, besonders von ganz Links und ganz Rechts. Und nicht nur von denen. Politiker stehen bei Umfragen über das Image von Berufen – zusammen mit Versicherungsvertretern – meist ganz am Schluss. Und der Sozialneid in Deutschland ist so ausgeprägt, wie in kaum einem anderen Land (wie Ipsos MORI und Allensbach in einer vergleichenden Befragung in 7 Ländern ermittelt haben).

Besonders stark sind die Emotionen, wenn es um Millioneneinkünfte geht.

Der „Fall“ Gauweiler

Die „Süddeutsche Zeitung“ bringt am 25. März einen großen Artikel mit der Headline „Horrende Nebeneinkünfte: Mehr als elf Millionen für Gauweiler“. Daneben ein Foto von Gauweiler mit einem riesigen Haufen von Geldbündeln. Kritisiert wird in dem Artikel, dass der Milliardär August von Finck, den die „Süddeutsche“ als „stramm konservativ und Europa-Skeptiker“ beschreibt, „Gauweilers Anti-Europa-Kurs“ unterstützt habe. Dass Gauweiler einer der Bundestagsabgeordneten mit den höchsten Nebeneinkünften war, ist indes keine neue Nachricht, sondern schon lange bekannt. Doch warum war er das? Weil er ein glänzender Jurist ist, dessen Kanzlei beispielsweise einen jahrelangen – und am Ende – erfolgreichen Rechtsstreit gegen die Deutsche Bank geführt hat. Ja, Top-Wirtschaftsjuristen verdienen mehr als mittelmäßige Juristen, die sich mit Verkehrsdelikten befassen. Daran ist per se nichts verwerflich. Im Gegenteil: Im Fall Gauweilers war die finanzielle Freiheit, die er dank seiner erfolgreichen Anwaltstätigkeit genießt, die wichtigste Voraussetzung für eine unabhängige und kritische Meinung. Der Nonkonformist Gauweiler konnte und kann es sich leisten, bei allen anzuecken – auch und gerade bei der eigenen Partei. Wir brauchen mehr Abgeordnete wie Gauweiler, die finanziell frei sind und es sich damit erlauben können, auch eine Meinung zu vertreten, die von der eigenen Partei nicht goutiert wird. „Parteisoldaten“, die in ihrem ganzen Leben nie etwas anderes gemacht haben als Parteipolitik, sind dagegen erstens vollkommen abhängig vom Wohlwollen ihrer Parteiführung und zweitens in der Regel vollkommen wirtschaftsfern.

Andrea Nahles und Kevin Kühnert als Gegenmodell?

Kevin Kühnert, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, der auch für den nächsten Bundestag kandidiert, ist 32 Jahre alt. Seine Bilanz: 2009 begann er ein Studium der Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin, das er jedoch abbrach, um in einem Callcenter zu arbeiten. 2016 versuchte er es noch mal mit einem Fernstudium der Politikwissenschaft, das er jedoch ebenfalls noch nicht beendet hat. In Wikipedia kann man lesen, dieses Studium „ruhe“. Seine hauptsächliche Leistung besteht darin, starke Sprüche gegen Vermieter und Unternehmen wie BMW26 zu klopfen, über deren Enteignung er sinnierte.

Andrea Nahles, ehemals Parteivorsitzende der SPD und Bundesministerin, beendete ihr Studium der Germanistik und Politikwissenschaft immerhin nach einem ganzen Jahrzehnt. Der krönende Abschluss war ihre Magisterarbeit mit dem Titel „Die Funktion von Katastrophen im Serien-Liebesroman“. Eine begonnene Promotion danach brach sie ab. Nach dem Ende ihrer politischen Karriere fand sie keinen Job in der freien Wirtschaft, sondern wurde politisch versorgt mit einem Posten als Präsidentin der Bundesanstalt für Post und Kommunikation.

Die Vita vieler Grüner Abgeordneter sieht ähnlich aus: Was sie alle verbindet, ist eine Wirtschaftsferne. Und darauf sind sie stolz. Die CDU, so hieß es in den letzten Wochen, sei „strukturell“ nahe am „Geld“ – und dies an sich sei schon ein Übel.

Die CDU ist – wie immer – unfähig, dieser Kampagne Argumente entgegenzusetzen. Sie hat ein schlechtes Gewissen; und Friedrich Merz erklärte gleich im vorauseilenden Gehorsam, er verzichte nach der Wahl auf alle Nebenjobs. In diesem Verzicht schwingt ja indirekt mit, Nebenjobs seien unanständig, auch wenn Merz natürlich betont, dass dem nicht so ist. Immerhin: Merz hat in der freien Wirtschaft genug verdient, was ihn ebenfalls in den Status „finanziell frei“ versetzt – auch ganz ohne Nebentätigkeiten.

Linkes Framing

Ziel der gegenwärtigen Kampagne von Medien und linken Parteien ist es, die Union so weit zu schwächen, dass es bei den nächsten Bundestagswahlen für eine Grün-rot-rote Mehrheit reicht. Das linke Framing besteht darin, die beiden Themen Korruption und Nebentätigkeiten zu vermengen. Der Unions-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus hat es durch sein panisches Verhalten den linken Parteien sehr leicht gemacht. Die Kampagne wird weitergehen und jeden Abgeordneten an den Pranger stellen, der wirtschaftlich erfolgreich ist. Der tugendhafte Politiker von heute ist der abgebrochene Politikstudent mit stramm linksgrüner Gesinnung, für den in der Wirtschaft keine Verwendung ist, nicht einmal im Nebenjob.

Rainer Zitelmann ist Autor des soeben neu aufgelegten Buches „Wohin treibt unsere Republik? Wie Deutschland links und grün wurde“.

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