Stuttgart 21 ist überall

Erschienen am 25. Oktober 2010

Man könnte glauben, Stuttgart 21 ginge die Immobilienbranche nichts an. Denn seit Monaten wird die Debatte darüber in Deutschland geführt, aber in unserer Branche herrscht überwiegend Schweigen. Dabei handelt es sich doch ganz offensichtlich um ein Immobilienprojekt, das Gegenstand einer hoch emotionalen Auseinandersetzung ist.

In Wahrheit ist Stuttgart 21 überall – und damit ist es zum Symbol für die mentale Verfassung unserer Republik geworden. Ist es heute noch möglich, irgendein größeres Projekt in Deutschland zu realisieren, ohne dass es zunächst jahrelange juristische Auseinandersetzungen im komplizierten Genehmigungs-Dickicht und/oder „Bürgerinitiativen“, Volksbegehren, Volksentscheide etc. gibt?

Je größer das Projekt ist, um das es geht, desto größer das Misstrauen, das ihm entgegenschlägt. Der Begriff „Großprojekt“ sorgt schon per se nicht etwa für Neugier oder Enthusiasmus, sondern für diffuse Ängste und strikte Ablehnung. Allein die Tatsache, dass ein Projekt „groß“ ist, macht es für all die Kleindenker bereits hochgradig suspekt.

Der Transrapid ist bekanntlich am Widerstand der Bedenkenträger gescheitert und wurde stattdessen in China gebaut. Völlig undenkbar wäre es, etwa ein neues Atomkraftwerk irgendwo in Deutschland zu bauen. Aber auch jedes größere Kohlekraftwerk stößt sofort auf Widerstand. Übrigens gilt dies auch für Windkraftanlagen, gegen die sich inzwischen an vielen Orten der Protest „betroffener“ Bürger massiv artikuliert. Bei der Planung und Realisierung eines Flughafens übersteigt die Zeit für komplizierte Genehmigungsverfahren und die Bearbeitung von mehreren zehntausend Einsprüchen „betroffener“ Bürger die Bauzeit um ein Vielfaches.

Und wo können Immobilienentwickler beispielsweise noch ein Shoppingcenter planen, ohne auf den massiven Widerstand von Bedenkenträgern zu stoßen, die sich in „Bürgerinitiativen“ organisieren? Shoppingcenter sind per se „verdächtig“. Nur wenn sie möglichst „kleinteilig“ und „nachhaltig“ sind, haben sie vielleicht noch eine Chance, „Akzeptanz“ zu finden. Die Tatsache, dass inzwischen durch empirische Untersuchungen belegt ist, dass die Flop-Rate bei kleinen Shoppingcentern sehr viel höher ist als bei größeren Projekten, stört die Bedenkenträger natürlich nicht. Ihr Motto: Wenn Ideologie und Realität nicht zusammenpassen – dann Pech für die Realität.

Es ist kein Zufall, dass jene Partei, die aus solchen Protestbewegungen entstanden ist, inzwischen in den Meinungsumfragen teilweise sogar vor der SPD liegt. Die Grünen sind absolut berechenbar überall und stets gegen alle Großprojekte – ob es sich nun um einen Flughafen, einen Bahnhof oder um ein Shoppingcenter handelt. Und wenn sich der Verdacht erhärtet, dass sich mit einem „Großprojekt“ vielleicht sogar ökonomische „Interessen“ verbinden oder ein Unternehmen damit Geld verdienen könnte, dann steht bereits fest, dass es gilt, dieses mit allen Mitteln des „zivilen Ungehorsams“ zu verhindern.

Die Protestkultur ist jedoch längst tief auch in die bürgerlichen Parteien eingedrungen. Dass Heiner Geißler, zugleich CDU-Politiker und Mitglied der linksradikalen „Attac“-Bewegung nunmehr als „Schlichter“ in Stuttgart agiert, spricht für sich.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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