Änderung von § 23 EStG ohne Übergangsregelung war verfassungswidrig – die Bedeutung der Karlsruher Entscheidung für die Zukunft

Erschienen am 23. August 2010

Am 19. August veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht die wichtigste Grundsatzentscheidung für Immobilienbesitzer in seiner Geschichte (Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05), die ich deshalb besonders ausführlich darstellen, erläutern und kommentieren möchte. Nachfolgend finden Sie zunächst einige Auszüge aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zu dem aktuellen Beschluss, dann einige Erläuterungen von mir zur Vorgeschichte des Beschlusses (insbesondere zum Vorlagebeschluss des BFH aus dem Jahre 2003) sowie zur politischen Einordnung und zu der immens wichtigen Frage, was dies für die Zukunft bedeutet. Ungeduldige Leser bzw. Leser, die im Immobiliensteuerrecht weniger bewandert sind, können auch die Seiten 1-4 überspringen und auf S.5 weiterlesen.

Auszüge aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts

„Die Gewinne aus privaten Grundstücksveräußerungsgeschäften unterlagen nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Rechtslage der Einkommensteuer, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung weniger als zwei Jahre betrug (sog. Spekulationsgeschäfte). Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1998 wurde die Veräußerungsfrist durch das am 31. März 1999 verkündete Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 auf zehn Jahre verlängert
(§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Nach § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG galt die neue Frist erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber – rückwirkend – auch bereits erworbene Grundstücke ein, sofern der Vertrag über die Veräußerung erst im Jahr 1999 (oder später) geschlossen wurde.

Die Kläger der drei Ausgangsverfahren veräußerten ihre in den Jahren 1990 bzw. 1991 erworbenen Grundstücke nach Ablauf der alten, aber innerhalb der neuen Veräußerungsfrist im Jahr 1999, wobei die zugrundeliegenden Verträge teilweise bereits vor der Verkündung des neuen Rechts (am 26. Februar bzw. 16. März 1999) geschlossen wurden, teilweise aber auch erst danach (am
22. April 1999). Das Finanzamt wandte in allen Fällen die neue Veräußerungsfrist an und rechnete die Veräußerungsgewinne dem zu versteuernden Einkommen zu. Die erhobenen Klagen führten jeweils zur Vorlage durch das Finanzgericht Köln und den Bundesfinanzhof.

In den zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Normenkontrollverfahren hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig ist. Die Verlängerung der Veräußerungsfrist auf zehn Jahre als solche ist dagegen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Eine grundsätzlich unzulässige „echte“ Rückwirkung, bei der die gesetzlichen Rechtsfolgen schon vor dem Zeitpunkt der Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände eintreten sollen („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“), liegt nicht vor. Denn die verlängerte Veräußerungsfrist kommt erst ab dem im Zeitpunkt der Änderung noch laufenden Veranlagungszeitraum zur Anwendung,
d. h. für Veräußerungserlöse, die ab dem 1. Januar 1999 zugeflossen sind. Es liegt aber eine „unechte“ Rückwirkung vor, soweit das Grundstück im Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung am 31. März 1999 bereits erworben war, weil die Anwendung der verlängerten Veräußerungsfrist insoweit an einen zurückliegenden Sachverhalt anknüpft. Das ist zwar nicht grundsätzlich unzulässig, mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes aber nur vereinbar, wenn die Rückanknüpfung zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Damit ist die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist nur teilweise vereinbar.

Soweit die früher geltende zweijährige Spekulationsfrist im Zeitpunkt der Verkündung noch nicht abgelaufen war, begegnet ihre Verlängerung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gleiche gilt, soweit die alte Frist zwar bereits abgelaufen war, sich der Zugriff aber auf die erst nach der Verkündung der Neuregelung eintretenden Wertsteigerungen beschränkt. Zwar kann die Entscheidung für den Erwerb eines Grundstücks im einzelnen Fall maßgeblich von der Erwartung bestimmt sein, einen etwaigen Veräußerungsgewinn nach Ablauf von zwei Jahren steuerfrei realisieren zu können. Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet aber keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position. Mit Wertsteigerungen kann im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, so dass auch die Enttäuschung der Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu werten ist.

Die Anwendung der verlängerten Spekulationsfrist verstößt aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit ein im Zeitpunkt der Verkündung bereits eingetretener Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen wird, der nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert worden ist oder zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können, weil die alte Spekulationsfrist bereits abgelaufen war. Insoweit war bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist nachträglich entwertet wird. Diese führt zudem zu einer Ungleichbehandlung, die unter dem Gesichtspunkt der Lastengleichheit einer erhöhten Rechtfertigung bedarf, wenn die alte Frist – wie in den Ausgangsverfahren – bereits bis zum Ende des Jahres 1998 abgelaufen war. Denn bei denjenigen Steuerpflichtigen, die ihr Grundstück noch im Jahr 1998 veräußerten, bleiben die bis dahin erzielten Wertsteigerungen steuerfrei.

Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, bestehen nicht. Soweit die Neuregelung allgemein damit begründet wird, dass sie dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit auch dem Gebot der Steuergerechtigkeit besser entspreche, hat dies nur Bedeutung für die Grundsatzentscheidung, private Veräußerungsgewinne und damit Wertsteigerungen des Privatvermögens stärker als zuvor bei der Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Dieses Ziel, die Rechtslage zu „verbessern“, bezeichnet nur das allgemeine Änderungsinteresse, ist aber kein spezifischer Grund, der geeignet ist, gerade auch den rückwirkenden Zugriff auf bereits steuerfrei erworbene Wertsteigerungen zu legitimieren.

Gleiches gilt für das vom Gesetzgeber benannte Ziel einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zur Gegenfinanzierung. Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, ist für sich genommen grundsätzlich kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwindendes Gemeinwohlinteresse. Denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerliefe. Auch das Bedürfnis, mit Mehreinnahmen an anderer Stelle gewährte Steuererleichterungen zu finanzieren, bezeichnet nur einen allgemeinen Änderungsbedarf, der es rechtfertigt, Wertsteigerungen ab der Verkündung steuerlich zu erfassen, aber nicht gerade auch die rückwirkende Einbeziehung bereits steuerfrei erworbener Vermögenszuwächse legitimiert. Eine solche Legitimation ergibt sich auch nicht aus der Schwierigkeit und Streitanfälligkeit einer Feststellung des Marktpreises zum Zeitpunkt der Verkündung, denn damit können allenfalls grobe Schätzungslösungen bei der Wertermittlung, nicht aber ein vollständiges Absehen davon gerechtfertigt werden.“ Soweit Auszüge aus dem Beschluss bzw. der Pressemitteilung dazu.

Zur Vorgeschichte: Der Vorlagebeschluss des BFH aus dem Jahre 2003

Vorausgegangen war dem Beschluss der Karlsruher Richter ein bemerkenswerter Vorlagebeschluss des BFH vom 16.12.03 (IX R/46/02), dessen Tenor lautete: „Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes darüber eingeholt, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.März 1999 mit dem Grundgesetz insoweit unvereinbar ist, als danach auch private Grundstücksgeschäfte nach dem 31. Dezember 1998, bei denen zu diesem Stichtag die zuvor geltende Spekulationsfrist von zwei Jahren bereits ausgelaufen war, übergangslos der Einkommensbesteuerung unterworfen werden.“

Der IX. Senat des BFH stellte in seinem Beschluss zunächst ausführlich die Historie von § 23 EStG dar. Bereits seit 1925 galt die zweijährige Spekulationsfrist für die Veräußerung von Immobilien. „Das Vertrauen des Klägers ist schon aufgrund der jahrzehntelangen Geltung der Vorgängerregelung von besonderem Gewicht. Die alte Rechtslage galt bei der Anschaffung des Grundstücks seit 65 Jahren, bei der Gesetzesänderung seit 74 Jahren unverändert. Ist eine gesetzliche Regelung seit Jahrzehnten maßgebend, ist das Vertrauen darauf, dass diese Regelung jedenfalls nicht ohne Übergangsvorschrift fortfallen wird, besonders fest begründet.“

Im Anschluss daran werden in dem Beschluss die verschiedenen Rückwirkungs-Problematiken im Zusammenhang mit der 1999 beschlossenen Änderung von § 23 EStG dargestellt. Unter anderem ergibt sich eine Rückwirkungs-Problematik aus der Tatsache, dass das Gesetz am 31. März 1999 verkündet wurde, aber ab dem Stichtag des 1. Januar 1999 Geltung erlangte. Zu unterscheiden sind darüber hinaus zwei weitere Rückwirkungs-Probleme von weit größerer Bedeutung: Das zentrale Problem, um das es auch in dem vorliegenden Fall ging, lässt sich so formulieren: Darf der Gesetzgeber für Grundstücke, die bereits steuerentstrickt waren, für die also die zweijährige Spekulationsfrist bereits abgelaufen war, die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen beschließen? Schließlich stellte sich – darüber hinaus – die Frage, ob Grundstücke, die noch nicht steuerentstrickt waren, die jedoch unter der Prämisse erworben wurden, dass die Spekulationsfrist nur zwei Jahre dauert, in eine Neuregelung einbezogen werden dürfen, welche die Spekulationsfrist erheblich verlängert. Der BFH gelangt zu der Überzeugung: „Die Regelung bewirkt im Streitfall als unzulässige tatbestandliche Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung) einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz des Klägers im Rahmen der von ihm ausgeübten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit.“

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bedarf es vor dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Der Bürger werde in seinem Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung enttäuscht und in seiner Freiheit erheblich gefährdet, wenn der Gesetzgeber an bereits abgeschlossene Tatbestände im nachhinein ungünstigere Folgen knüpfe als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte.

Der IX. Senat gründete seine Auffassung zur Notwendigkeit einer Übergangsregelung für die Änderung von § 23 EStG auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und argumentierte: „Dieser – vom Bundesverfassungsgericht bisher nur für (Verschonungs-)Subventionen und Steuervergünstigungen gewährte – verstärkte Schutz von Dispositionen ist nach Auffassung des vorlegenden Senats auf alle Steuerrechtsnormen zu erstrecken… Der erstrebte wirtschaftliche Vorteil kann nicht nur in der Inanspruchnahme einer steuerlichen Subvention, sondern ebenso gut in der Vermeidung einer zusätzlichen steuerlichen Belastung bestehen… In seinem Vertrauen auf die bestehende Rechtsordnung verdient der Bürger deshalb gegen den rückwirkenden Wegfall einer Steuervergünstigung den gleichen Schutz wie gegen die rückwirkende Belastung mit einem neu begründeten Steueranspruch.“ Zwar könne der Gesetzgeber dem Steuerbürger nicht in jedem Fall Enttäuschungen ersparen, aber hierzu bedürfe es einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Vertrauensschutz des Bürgers und dem Änderungsinteresse des Gesetzgebers.

Die Änderung von § 23 EStG war nach Ansicht des BFH verfassungswidrig, weil „es vor dem Hintergrund des dem Rechtsstaatsprinzip entspringenden Kontinuitätsgebotes und des Vertrauensschutzes verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, dass der Kläger im Vertrauen auf seine Vermögensdisposition schutzlos gelassen wurde und sich der Gesetzgeber durch eine abrupte Kursänderung in Widerspruch zu seinen vorangegangenen Regelungen gesetzt hat“. Der BFH fügte sodann einen weiteren – wie ich finde, sehr überzeugenden – Gedanken hinzu: Der Kläger, dessen Immobilie bereits aus der Spekulationsfrist herausgefallen war, hat diese in Kenntnis dieser Tatsache behalten und nicht veräußert. „Das Unterlassen der Veräußerung war hierbei gegenüber der Veräußerung unter Vertrauensschutzgesichtspunkten gleichwertig. Es stellt als so genannte Portfolioentscheidung…, auch wenn es nicht den Tatbestand des § 23 EStG a. F. ausgelöst hat, eine Disposition des Steuerpflichtigen im Vertrauen auf die alte Rechtslage dar.“

Der BFH stellte schließlich alternativ mehrere denkbare Übergangsregelungen dar, welche der Gesetzgeber aus seiner Sicht hätte erlassen können bzw. müssen. Die erste (sicherlich aus Sicht der Immobilienbesitzer sympathischste) Alternative lautet: „Der Gesetzgeber kann die Anwendung der verlängerten Veräußerungsfrist auf Grundstücke beschränken, die nach der Gesetzesänderung angeschafft wurden.“ Eine (allerdings in der Praxis sehr aufwändige und umständliche) alternative Übergangsregelung könnte nach Meinung des BFH auch darin bestehen, dass in Altfällen, in denen die Spekulationsfrist bereits abgelaufen war, nur die nach der Gesetzesänderung eingetretenen Wertsteigerungen der Besteuerung unterworfen werden. Schließlich wies der BFH auf diejenige Regelung hin, die der Gesetzgeber in der 2003 vom Bundestag beschlossenen (dann jedoch im Bundesrat bzw. im Vermittlungsausschuss gescheiterten) Neuregelung von § 23 EStG getroffen hatte: „Der Gesetzgeber kann aber auch… im Wege der Typisierung des auf die Steuerverstrickung entfallenden Wertzuwachses als steuerbaren Überschuss… einen bestimmten Prozentsatz des Veräußerungspreises als Überschuss ansetzen und zur Vermeidung von Härten dem Steuerpflichtigen den Nachweis ermöglichen, es sei kein Überschuss angefallen.“

Was heißt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes für die

Zukunft? Worauf müssen sich Immobilienbesitzer einstellen?

Der Beschluss ist von grundlegender Bedeutung, weil ich – leider – erwarte, dass die Politik früher oder später erneut § 23 EStG ändern wird. Ich erwarte dies aus mehreren Gründen:

  1. Immer wieder haben Politiker die Absicht bekundet, § 23 EStG zu ändern. Zuletzt wurde dies nach den vorletzten Wahlen im Jahre 2005 diskutiert. Im Ende 2005 beschlossenen Koalitionsvertrag der Großen Koalition war seinerzeit ausdrücklich die Absicht bekundet worden, § 23 EStG zu ändern. Dies geschah auch tatsächlich – jedoch zunächst nur für Wertpapiere, bei denen die Spekulationsfrist abgeschafft wurde. Nach den Wahlen erklärten damals jedoch Politiker nicht nur der SPD, sondern auch der CDU/CSU die Absicht, auch für Immobilien die Spekulationsfrist abzuschaffen, also Veräußerungsgewinne unabhängig von Haltefristen steuerpflichtig zu machen. Letztlich geschah dies nur deshalb nicht, weil dies rein steuertechnisch nicht im Rahmen der dann beschlossenen Abgeltungssteuer zu regeln war.
  2. Vielen Politikern – nicht nur aus dem linken Lager – ist es ein Dorn im Auge, dass Veräußerungsgewinne von Wertpapieren nunmehr unabhängig von Haltefristen zu versteuern sind, während solche von Immobilien nach zehn Jahren steuerfrei bleiben. Zudem wird gerne darauf verwiesen, dass in den meisten anderen Ländern Veräußerungsgewinne von Immobilien versteuert werden müssen (die Politiker sind immer gut darin, andere Länder zu finden, in denen bestimmte Steuern höher sind als hierzulande, was natürlich als dramatischer Missstand empfunden wird…).
  3. Die Haushaltskassen sind leer, und angesichts der dramatischen Verschuldung sucht der Staat neue Einnahmequellen. Immobilienbesitzer sind dabei ein beliebtes Opfer. In Großbritannien wurde beispielsweise vor einigen Wochen die Steuer für Veräußerungsgewinne um zehn Prozentpunkte (!) erhöht.
  4. Ich weiß, dass es im BMF bereits Gedankenspiele für eine Neuregelung von § 23 EStG gibt. Man hat dort nur auf die Karlsruher Entscheidung gewartet, um Rechtssicherheit für die Formulierung einer Übergangsregelung zu haben.

Bei einer linken Regierung wäre es meiner Meinung nach zu 100% sicher, dass § 23 EStG geändert würde. Jedoch halte ich dies leider auch bei der gegenwärtigen Regierung nicht für ausgeschlossen. Weite Teile der CDU/CSU sind dafür – und es ist fraglich, ob die FDP angesichts ihres geschwundenen politischen Gewichtes hinreichend Widerstand gegen solche Bestrebungen leisten will und kann.

Falls der Paragraph geändert wird, ist dem Gesetzgeber jedoch insofern eine Grenze gesetzt, als er es sich nicht mehr erlauben kann – wie 1999 geschehen – eine Änderung einfach ohne Übergangsregelung zu beschließen. Das dumme und nur halbinformierte Gerede der Politiker, „unechte Rückwirkungen“ seien ja erlaubt, ist in dieser Form nicht mehr möglich, denn das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr klipp und klar gesagt, dass es auch bei einer so genannten „unechten Rückwirkung“ einer wirklich stichhaltigen Begründung bedarf – die nicht etwa darin bestehen könne, Steuermehreinnahmen generieren zu wollen.

Folgender Satz aus dem Beschluss sei allen Politikern ins Stammbuch geschrieben: „Die bloße Absicht, staatliche Mehreinkünfte zu erzielen, ist für sich genommen grundsätzlich kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwindendes Gemeinwohlinteresse. Denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Verschärfungen des Steuerrechts praktisch leerliefe.“

Dass die Karlsruher Richter nicht nur einfach erklärten, das Gesetz sei mit der Verfassung nicht vereinbar, sondern es ausdrücklich für „nichtig“ erklärten, bedeutet eine schallende Ohrfeige für die damals regierende rot-grüne Koalition und ihren Finanzminister Oskar Lafontaine. Übrigens waren damals gleichzeitig auch zwei weitere Gesetze beschlossen worden, nämlich § 2b EStG und §
2 Abs. 3 EStG (so genannte Mindestbesteuerung), an deren Verfassungsmäßigkeit der BFH ebenfalls Zweifel geäußert hatte. Inzwischen mussten beide Paragraphen u. a. deshalb abgeschafft werden, weil sie so diffus waren, dass sie praktisch kaum rechtssicher anwendbar waren. Dies haben sie übrigens mit der von der Großen Koalition beschlossenen Zinsschranken-Regelung gemeinsam.

Mit Blick auf eine mögliche Änderung von § 23 EStG lautet die alles entscheidende Frage, wie dann eine Übergangsregelung ausgestaltet würde. Und hier ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts enttäuschend. Denn es wird ausdrücklich gesagt, es sei keine Übergangsregelung verfassungsmäßig geboten, die alle vor dem Stichtag des neuen Gesetzes erworbenen Immobilien schützt. Ich hatte leider auch keine andere Meinung des Bundesverfassungsgerichts erwartet, denn auch der BFH hatte, was oft übersehen worden war, eine solche auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Immobilie abstellende Übergangsregelung ausdrücklich nicht gefordert (im „Jahrbuch Immobilien 2006“ hatte ich mich in einem Aufsatz mit dem Thema auseinandergesetzt und auf S.67 geschrieben: „Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht dieser Auffassung des BFH folgt, dann wäre im Ergebnis die Übergangsregelung, die sich daraus ergäbe, für alle Immobilieneigentümer, die ihre Immobilie am Stichtag nicht mindestens zehn Jahre lang besitzen, außerordentlich ungünstig.“)

Eine Übergangsregelung bei einer Neuregelung von § 23 EStG wird nach dem jetzt veröffentlichten Karlsruher Beschluss so aussehen, dass alle Immobilien von einer Neuregelung ausgenommen werden, die bereits aus der (heute zehnjährigen) Steuerverstrickung herausgefallen waren. Bei einer solchen Übergangsregelung würden Immobilien, bei denen der Anleger hohe Abschreibungen vorgenommen hat (§§ 7h/7i EStG) praktisch unverkäuflich, wenn der Anleger das Pech hat, dass bei Verkündung des Gesetzes die 10-Jahres-Frist noch nicht abgelaufen war. Denn da die Bemessungsgrundlage für die Versteuerung des Veräußerungsgewinnes die Differenz zwischen Verkaufspreis und Buchwert ist, entsteht ein hoher steuerlicher Gewinn vor allem bei Immobilien, bei denen der Anleger erhöhte Abschreibungen in Anspruch genommen hat.

Oder aber eine Übergangsregelung wird so aussehen, dass nur die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erzielten Wertsteigerungen besteuert werden. Dies würde allerdings dazu führen, dass sämtliche im Privatbesitz befindlichen vermieteten Immobilien an dem Stichtag des Inkrafttretens der Neuregelung durch Gutachter bewertet werden müssten.

Die Immobilienbranche sollte sich damit nicht zufrieden geben. Ich fände die Übergangsregelungen, die die Karlsruher Richter vorschreiben, nicht weitgehend genug. Denn der Erwerber einer Immobilie hat sie ja unter der wirtschaftlichen Prämisse erworben, sie nach Ablauf der Zehnjahresfrist steuerfrei verkaufen zu können. Das Bundesverfassungsgericht meint, man müsse dem Anleger eine Enttäuschung dieser Erwartung zumuten. Damit wird jedoch die wirtschaftliche Kalkulation mancher Investition Makulatur.

Vor allem: Es gibt gute Argumente, die für eine Übergangsregelung sprechen, welche auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Immobilie abstellt. Als in den Jahren 2005 die Steuerprivilegien für Lebensversicherungen abgeschafft wurden bzw. im Jahre 2009 die Abgeltungssteuer für Wertpapiere eingeführt wurde, wurden von den Neuregelungen bewusst alle Altfälle ausgenommen. Was bei Lebensversicherungen und Wertpapieren vom Gesetzgeber als fair erachtet wurde, wäre aus meiner Sicht auch die einzig faire Regelung für Immobilien. Warum soll Immobilienerwerbern eine Enttäuschung ihrer wirtschaftlichen Disposition, die sie zum Zeitpunkt des Erwerbs vorgenommen haben, zugemutet werden, Erwerbern von Wertpapieren und von Lebensversicherungen jedoch nicht? Ich finde daher, eine faire Übergangsregelung müsste – anders als von den Karlsruher Richtern gefordert – auf den Zeitpunkt des Erwerbs abstellen und alle vor dem Inkrafttreten einer Neuregelung erworbenen Immobilien nach dem bis dahin geltenden Recht behandeln.

Es wird jedoch nicht leicht sein, eine solche faire Übergangsregelung durchzusetzen. Denn sie würde unmittelbar kein Geld in die Haushaltskasse spülen. Da aber genau dies die Absicht des Gesetzgebers bei einer Neuregelung wäre, ist es schon deshalb unwahrscheinlich, dass er sich für eine Übergangsregelung entscheiden würde, die ähnlich jener für Lebensversicherungen oder Wertpapiere ausgestaltet ist. Der Gesetzgeber würde sich mit Sicherheit auf die Karlsruher Entscheidung beziehen und nur jene Immobilien schützen, die bereits aus der Steuerverstrickung herausgefallen waren. Umso massiver muss sich die Immobilien-Lobby dafür einsetzen. Und dies ist übrigens mal ein Thema, bei dem alle Verbände an einem Strang ziehen könnten – ob nun ZIA, BSI, IVD, Haus und Grund, BFW oder andere. Denn in diesem Punkt haben alle die gleichen Interessen. (Hans-Joachim Beck wird bei einer Veranstaltung am 26.Oktober ausführlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes würdigen und diskutieren, wie eine – auch von ihm für sehr wahrscheinlich gehaltene – Neuregelung von § 23 EStG aussehen könnte: Fordern Sie das Programm unter info@immobilienrunde.de an!)

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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