Bestimmen die Reichen die Politik in den USA?

Erschienen am 23. Mai 2021

Seit Jahren ist der vermeintlich ständig steigende Einfluss der Reichen auf die amerikanische Politik ein Hauptthema der Kapitalismuskritik.

Jeden Tag lesen wir in den Medien von mächtigen Lobbygruppen, die die Politik beeinflussen oder sogar die Gesetze schreiben. In Hollywood-Filmen geht es nicht selten um den Kampf zwischen den Guten, die finstere Verschwörungen mächtiger Konzerne aufdecken – und auf der anderen Seite stehen die Politiker, die als Marionetten der Kapitalisten dargestellt werden. Es scheint keinen Zweifel zu geben: Geld regiert die Welt. Und nicht nur das: Kritiker der „sozialen Ungleichheit“ behaupten, all dies werde immer schlimmer und mit der steigenden Ungleichheit steige auch der Einfluss der Reichen auf die Politik. Die USA gelten mehr als jedes andere Land als Musterbeispiel, um diese These zu belegen.

Clinton und Bloomberg wären Präsidenten geworden

Doch Zweifel sind erlaubt: Wenn Geld allein politische Macht kaufen würde, dann wäre 2016 nicht Donald Trump Kandidat für die US-Präsidentschaft geworden, sondern vielleicht Jeb Bush, der sehr viel mehr Spendengelder mobilisieren konnte. Und bestimmt hätte Trump die Wahlen 2017 nicht gewonnen, sondern Hillary Clinton. Clinton und die sie unterstützenden Super PACs, sammelten mehr als 1,2 Milliarden Dollar, Trump und seine Verbündeten etwa 600 Millionen Dollar.

Wenn Geld allein politische Macht kaufen könnte, dann wäre Joe Biden heute nicht Präsident, sondern vielleicht Michael Bloomberg, der zum Zeitpunkt seiner Bewerbung für die Kandidatur der Demokraten mit 61 Mrd. Dollar der achtreichste Mann der Welt war. Wohl niemals zuvor in der Geschichte hatte ein Kandidat soviel Geld in so kurzer aus eigener Tasche für einen Wahlkampf ausgegeben, nämlich innerhalb von gut drei Monaten rund eine Milliarde Dollar. Bloomberg hatte seinen Wahlkampf selbst finanziert und keine Spenden angenommen.

Trotz dieser Gegenbeispiele: Die These, „Geld regiert die Welt“ bleibt populär. Rechte Verschwörungstheoretiker sehen George Soros oder Bill Gates als die geheimen Drahtzieher und Herrscher, linke Verschwörungstheoretiker die Koch-Brüder. Eine der am häufigsten zitierten wissenschaftlichen Studien, die die Macht des Geldes in den USA belegen soll, ist der 2013 erschienene Aufsatz „Democracy and the Policy Preferences of Wealthy Americans“ von Benjamin I. Page, Larry M. Bartels und Jason Seawright.

Was ist dran an einer immer wieder zitierten Studie?

Dass dieser Aufsatz immer wieder als Beleg dafür zitiert wird, wie sehr die Reichen die Politik bestimmen, verwundert. Denn mit nur 83 Befragten war die Basis für eine quantitative Untersuchung sehr gering. Zudem kamen alle Befragten aus Chicago. Und so richtig reich waren viele der Befragten auch nicht, denn von den 83 hatten nur 36 ein Vermögen ab 10 Mio. Dollar.

Zugegeben ist es schwierig, Studien über die wirklich Reichen zu machen. Ich selbst habe eine Studie zu Vermögenden Deutschen gemacht, von denen alle 45 ein Vermögen über 10 Millionen Euro hatten – die meisten hatten zwischen 30 Mio. und 1 Mrd. Euro. Aber ich habe meine Studie nicht als quantitative, sondern als qualitative Studie angelegt.

Die Befragung für die Studie von Page, Bartels und Seawright wurde 2011 durchgeführt. So ist es interessant, zehn Jahre später zu fragen, ob denn die Wünsche bzw. Forderungen der Reichen an die Politik in Erfüllung gegangen sind. Die Forscher wollten, wie bereits der Titel der Studie zeigt, vor allem wissen, was die „Policy Preferences of Wealthy Americans“ sind. Von elf Punkten, die von den befragten Reichen genannte wurde, erhielt das Thema „Budget deficits“ die meisten Nennungen. Aus Sicht von 87 Prozent der Reichen war dies also das größte Problem, das die amerikanische Politik angehen sollte. An letzter Stelle, mit nur 16 Prozent, wurde der Klimawandel genannt. „… die gegenwärtige Betonung der Reduzierung des Bundeshaushaltsdefizits in der Politik in Washington entspricht dem, was die wohlhabenden Amerikaner – anders als die amerikanische Öffentlichkeit – als das bei weitem wichtigste Problem sehen“, so fassten die Autoren das Ergebnis ihrer Studie zusammen.

Was aus den Wünschen der Reichen wurde

Zehn Jahre später: Die Staatsverschuldung, deren Reduzierung laut der Befragung das oberste Ziel der Reichen in Amerika war, ist von 15,6 Billionen auf 28,6 Billionen Dollar gestiegen, hat sich also fast verdoppelt. Zum Zeitpunkt der Befragung lag sie noch knapp unter 100 Prozent des amerikanischen BIP, heute liegt sie über 133 Prozent. Wenn es der größte Wunsch der Reichen war, die Staatsverschuldung deutlich zu senken, so wurde dieser weder von Barack Obama noch von Donald Trump erfüllt – und von Joe Biden erst Recht nicht.

Dafür steht bei Joe Biden genau jenes Anliegen ganz oben auf der Agenda, das bei der Befragung vor zehn Jahren von den reichen Amerikanern am seltensten genannt wurde, nämlich der Kampf gegen den Klimawandel und der „Green New Deal“ (für den eine erhebliche Ausweitung der Staatsverschuldung in Kauf genommen wird).

Haben die Reichen keinen Einfluss auf die Politik? Doch sie haben ihn, aber weniger bei den großen Themen, über die die kontroversen Debatten in der Öffentlichkeit geführt werden und die die Richtung der Politik bestimmen. Die Verfasser der oben zitierten Studie erklärten: „Ein zentrales Ergebnis ist, dass bei den Kontakten, die kodiert werden konnten, knapp die Hälfte (44 Prozent) eine Fokussierung auf ein eher enges wirtschaftliches Eigeninteresse einräumte.“ Den Reichen ging es also nicht um die “großen Themen”, sondern um ihre ummittelbaren wirtschaftlichen Interessen – die Autoren nannten zum Beispiel: „to try to get the Treasury to honor their commitment to extend TARP fund to as particular bank in Chicago“, „to better understand the new regulations of the Dodd-Frank Act and how it will affect my business [banking/finance]“, „Fish and Wildlife… permitting on development land“ oder “seeking regulatory approvals” für ihre Klienten.

Weniger Staat wagen

John York, der 2017 einen ausgezeichneten Aufsatz zu der Frage „Does Rising Income Inequality Threaten Democracy?“ geschrieben hat, kam zu dem Ergebnis, dass die Aktivitäten von Lobbyisten sich eher auf die Durchsetzung von solchen Partikularinteressen beziehen als auf die großen Linien der Politik. Und dies ließe sich, so sein Argument, am besten dadurch verhindern, dass man den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft beschränke: „Den Staat zu beschränken hätte auch den Vorteil, die Menge des Geldes in der Politik zu reduzieren… Regulierungen abzuschaffen, die den freien Markt verzerren und das Spiel für jene mit politischen Verbindungen zu manipulieren, verschwenderische Regierungsverträge und Schmiergelder für Kumpane zu kürzen und Politiker, die diese Praktiken anwenden, abzurufen, würde den Fluss des Geldes, der nach D.C. fließt, an seiner Quelle stoppen.“

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Autor der Bücher: „Psychologie der Superreichen“ und „Die Gesellschaft und ihre Reichen“.

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