Buchtipp: Plädoyer für den guten Egoismus

Erschienen am 8. April 2020

Quelle: Oliver Reetz

Julien Backhaus, Ego. Gewinner sind gute Egoisten, FinanzBuch Verlag, München 2020, 231 Seiten.

Dieses Buch soll provozieren, das merkt man fast auf jeder Seite. Der üblicherweise fast ausschließlich negativ verwendete Begriff „Egoismus“ erfährt eine positive Umdeutung. „Guter Egoismus“ ist für Backhaus, Herausgeber des Magazins „Erfolg“ und weiterer Medien, vor allem gleichbedeutend mit Freiheitsstreben und Nonkonformismus. Er zitiert Ayn Rand, die es so auf den Punkt brachte: „Im allgemeinen Sprachgebrauch ist das Wort ‚Egoismus’ ein Synonym für das Böse; es beschwört das Bild des blutrünstigen Unmenschen herauf, der über Leichen geht, um sein Ziel zu erreichen – eines Untiers, das sich um kein Lebewesen schert und nur die Befriedigung der eigenen hirnlosen momentanen Launen im Sinn hat. Doch die exakte Bedeutung und Definition des Wortes ‚Egoismus’ lautet: ‚Beschäftigung mit den eigenen Interessen’.“ (S. 14)

Wer nicht sagt, was er will, bekommt auch nicht, was er will.

Das fängt schon im Kleinen im Alltag an. Ich habe viele Gemeinsamkeiten zwischen dem Autor und mir festgestellt, wenn er von Alltagsbegebenheiten berichtet: Steht eine einfache Speise nicht auf der Speisekarte, gibt er sich nicht damit zufrieden, sondern bohrt so lange, bis sein „Sonderwunsch“ erfüllt wird. Ist es ihm zu warm im Flugzeug, bittet er die Flugbegleiterin, die Temperatur herunterzufahren. Hat der Taxifahrer laute Musik angestellt, bittet er ihn, die Musik auszustellen. Für mich ist das alles – so wie für den Autor – selbstverständlich, aber vielen Menschen fällt es schon schwer, in so kleinen Fragen ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Wer nicht sagt, was er will, bekommt auch nicht, was er will. Erst recht gilt das für große, wichtige Dinge.

Über Altruismus

Selbstverständlich heißt Egoismus nicht, ausschließlich an sich selbst zu denken. Im Gegenteil. Im Kapitalismus gewinnt meist der, der die Bedürfnisse von sehr vielen anderen Menschen befriedigt. Mir fallen dabei die Albrecht-Brüder (Aldi) oder Dieter Schwarz (Lidl) ein, die damit zu den reichsten Deutschen wurden, dass sie für eine breite Masse von Verbrauchern billigere Produkte mit guter Qualität anboten.

„Es ist kein altruistischer Antrieb notwendig, um positiven Einfluss auf die Welt auszuüben“, so Backhaus (S. 94). Das ist ein guter, wichtiger Satz. Als Beispiel nennt er erfolgreiche Musiker, die vor allem deshalb Musik machen, weil es ihnen Freude macht – nicht aus altruistischen Motiven. Und dennoch machen sie damit vielen anderen Menschen eine große Freude.

Ich würde gerne hinzufügen: Menschen, die vorgeben, vor allem für andere die Welt zu verbessern, haben in der Geschichte oft viel Schaden angerichtet – man denke da an Personen wie Lenin oder Mao oder Sektenführer. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki meinte: „Die anständigen Menschen arbeiten wegen des Ruhms und des Geldes. Die unanständigen wollen die Welt verändern und die Menschen erlösen.“ Natürlich ist das in dieser Allgemeinheit nicht richtig, aber es trifft öfter zu, als gemeinhin angenommen wird.

Oft ist es überhaupt die Voraussetzung, anderen helfen zu können, dass man zunächst sich selbst hilft. Wer einen leeren Kühlschrank hat, kann niemanden zum Essen einladen. Der Autor bringt ein gutes Beispiel: Vor jeder Flugreise bittet das Kabinenpersonal die Gäste: „Sollte der Kabinendruck sinken, fallen automatisch Sauerstoffmasken von der Decke. Ziehen Sie die Maske zu sich heran, um den Sauerstofffluss zu starten, und setzen Sie die Maske über Mund und Nase. Erst dann helfen Sie Kindern und Mitreisenden.“ Für Backhaus ist das die perfekte Beschreibung von Egoismus: „Es nützt niemandem, wenn Sie bewusstlos in Ihrem Flugzeugsitz hängen und die anderen müssten sich schließlich um Sie kümmern. Genau an diesem Punkt bringen Sie nämlich andere Menschen in eine gefährliche Lage. Niemand hätte etwas davon.“ (S. 36).

Wenn Sie sich nicht um sich selbst kümmern, so argumentiert Backhaus, dann müssen sich, früher oder später, andere um Sie kümmern. „Sie hätten somit genau das Gegenteil davon bewirkt, was Sie eigentlich beabsichtigten, indem Sie dauernd an das Wohl ihrer Mitmenschen gedacht haben.“ (S. 37). Dabei fällt mir als schönes, aktuelles Beispiel die linke Antikapitalistin Jutta Ditfurth ein, einst Mitbegründerin der Grünen. Ihr Leben lang setzt sie sich (angeblich) für die Verbesserung der Situation von sozial Schwachen ein. Nachdem sie eine Grippe hatte und sich danach auch noch am Corona-Virus ansteckte, schrieb sie in sozialen Medien einen „Bettel-Post“, indem sie andere Menschen bat, ihr Geld zu überweisen, da sie in wirtschaftlichen Problemen sei.

Die These des Autors: Die meisten Menschen haben durch ihre Erziehung Glaubenssätze verinnerlicht, die sie daran hindern, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen oder sich dafür einzusetzen: „Nimm dich nicht so wichtig!“ oder „Der Klügere gibt nach!“ Menschen bekommen ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse und Ansprüche klar und unmissverständlich artikulieren.

Gegen den Strom schwimmen

Das Buch ist vor allem ein Plädoyer dafür, gegen den Strom zu schwimmen: „Haben Sie den Mut, auch unpopuläre Ansichten zu äußern, wenn sich diese mit Ihren innersten Werten und Prinzipien decken. Alles andere wäre Selbstverleugnung.“ (S. 33) Und: „Haben Sie keine Angst, Menschen mit Ihrer Meinung vor den Kopf zu stoßen. Das gehört nun einmal dazu.“ (S. 89)

Wenn man die Biografien berühmter und erfolgreicher Menschen studiere, gelange man zu der Erkenntnis, dass diese keineswegs beliebte Menschen waren. Nonkonformismus sei ein Merkmal wirklich erfolgreicher Menschen (S. 141). Das kann ich aus meinen eigenen Forschungen bestätigen. In Interviews mit 45 Superreichen für mein Buch „Psychologie der Superreichen“ habe ich gezeigt, dass erfolgreiche Menschen oft geradezu Freude daran haben, gegen den Strom zu schwimmen und sich in Widerspruch zur Mehrheitsmeinung zu setzen.

„Die Masse ist nicht erfolgreich“, Backhaus. „Darum dürfen Sie auch niemals auf die Masse hören, wenn Sie selbst erfolgreich sein wollen.“ (S. 185) Das ist logisch: Wer das macht, was alle machen, der wird auch nur das bekommen, was alle bekommen – und das ist nicht viel.

„Ein guter Egoist ist der Diktator seines eigenen Lebens“

Das Buch ist ein Plädoyer für ein freies und selbstbestimmtes Leben. Dazu gehört jedoch auf der anderen Seite hohe Selbstdisziplin. Ja, schon Goethe sagte: „Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer Knecht.“ Wenn Sie nicht so gern anderen gehorchen, dann müssen Sie lernen, sich selbst zu gehorchen. Backhaus schreibt, dass er diese Selbstdisziplin gelernt habe. Er verzichtet konsequent auf Rauchen, Alkohol und Zucker (S. 101). Dass das geht, weiß ich, weil ich selbst seit 35 Jahren nicht geraucht und keinen Tropfen Alkohol getrunken habe und seit 15 Jahre auf Süßigkeiten komplett verzichte. „Ein guter Egoist ist der Diktator seines eigenen Lebens“, schreibt Backhaus (S. 21). Dabei fällt mir dieser Ausspruch von Karl Lagerfeld ein: „Die Leute sagen mir: ‚Sie sind Deutscher, Sie haben viel Disziplin.‘ Ich bin viel schlimmer: Ich bin Autofaschist, ein Diktator, der sich selbst unter Druck setzt. Ich dulde, wenn es um mich selbst geht, keine Demokratie. Es wird nicht diskutiert, ich gebe mir Befehle. Da leide ich auch nicht besonders darunter. Befehl ist Befehl, basta.“

Manchmal überzieht der Autor

Man merkt Backhaus die Freude an der Provokation an, aber manchmal überzieht er. Besonders mit einer These bin ich nicht einverstanden: „Der einzige Maßstab, an den Sie sich halten sollten, ist, kein schlechter Egoist zu sein. Sie dürfen anderen nicht mit Absicht schaden. Es darf nicht das Ziel Ihrer Handlung sein, einem anderen Menschen Schaden zuzufügen… Es wird immer Menschen geben, die unter Ihren Handlungen irgendwie leiden – aber das war nicht Ihr Ziel. Es ist eine Begleiterscheinung Ihres Vorgehens, die Sie aber nicht beabsichtigen. Dieser Schaden kann manchmal riesig sein, es kann andere sogar das Leben kosten. Solange es nicht beabsichtigt war, trifft Sie keine Schuld.“ (S. 87) Da möchte ich entschieden widersprechen. Backhaus führt als Beispiel Richard Branson an, bei dessen Weltraum-Projekten Menschen ums Leben kamen. Aber es gibt andere Beispiele, die die These von Backhaus widerlegen: Ein Drogenhändler betreibt sein Geschäft auch nicht mit dem Ziel, anderen Menschen zu schaden oder sie zu töten. Er nimmt es aber billigend in Kauf. Gleiches gilt beispielsweise für Zigarettenhersteller. Im Recht unterscheiden wir zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Meine Meinung: Nicht nur derjenige, der vorsätzlich anderen schadet, ist zu verurteilen, sondern ebenso derjenige, der dies aus Fahrlässigkeit, Gedankenlosigkeit oder einfach Dummheit tut. Manche Menschen schaden anderen sogar aus „guten“, „idealistischen“ Motiven, aber das ändert nichts daran, dass ihr Handeln verwerflich ist.

Dinge, die Sterbende am meisten bereuen

An einigen Stellen schießt der Autor also aus meiner Sicht über das Ziel hinaus. Aber seine Grundthese ist richtig. Viele Menschen leben an ihren eigenen Bedürfnissen vorbei. Er zitiert aus dem Buch von Bronnie Ware „Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen.“ Zu diesen Dingen gehören etwa: „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben.“ Oder: „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken.“ Und: „Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein.“ (S. 68 f.) Jeder dieser Sätze beginnt mit dem Wort „Ich“.

Am besten hat mir diese Formulierung des Autors gefallen, die auch für mich stets Leitfaden in meinem Leben war: „Reduzieren Sie einfach die Tätigkeiten, die Sie emotional nicht befriedigen, und Sie werden automatisch glücklicher durch ihr Leben schreiten.“ (S. 155)

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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.