Das Märchen von der Herrschaft der Reichen in Amerika

Erschienen am 9. August 2021

Kaum eine Meinung hört man häufiger als die, dass die Reichen die Politik bestimmen. Die USA gelten als bestes Beispiel dafür, dass in kapitalistischen Ländern die Reichen Wirtschaft und auch die Politik beherrschen.

Dass mit Donald Trump ein Milliardär Präsident wurde, scheint die These zu bestätigen, doch wenn man näher hinschaut, beweist gerade Trumps Wahl das Gegenteil. Selbst Benjamin I. Page und Martin Gilens, die prominentesten Vertreter der These, dass die Politik von Reichen bestimmt werde, räumen in ihrem Buch „Democracy in America?“ ein: „Die meisten Großspender – und die meisten republikanischen Denker und Amtsinhaber – unterstützten andere Kandidaten“. Und: „Trumps Positionen standen in direktem Widerspruch zu den Ansichten der wohlhabenden Spender und der wohlhabenden Amerikaner im Allgemeinen.“

Trump war nicht Wunschkandidat der Reichen

Und würden die Reichen die Politik bestimmen, dann hätte Trump die Wahlen 2017 nicht gewonnen, sondern Hillary Clinton. Page und Gilens müssen einräumen: „Der finanziell besser ausgestattete Kandidat verliert manchmal, wie Hillary Clinton.“ Clinton und ihre Verbündeten, einschließlich ihrer gemeinsamen Ausschüsse mit der Demokratischen Partei und der sie unterstützenden Super-PACs, sammelten nach Angaben der Federal Election Commission über den gesamten Zyklus mehr als 1,2 Milliarden Dollar. Trump und seine Verbündeten sammelten etwa 600 Millionen Dollar. Edwards und Bourne konstatieren: „Kein einziger CEO der Fortune 100 spendete bis September 2016 für Trumps Wahlkampagne. Sein Sieg ist nicht auf den Einfluss der Wohlhabenden zurückzuführen, sondern eher auf den Widerstand der Basis gegen die wohlhabenden Eliten an der Küste.“

Wenn Geld allein politische Macht kaufen könnte, dann wäre Joe Biden heute nicht Präsident, sondern vielleicht Michael Bloomberg, der zum Zeitpunkt seiner Bewerbung für die Kandidatur der Demokraten laut Forbes mit 61,9 Mrd. Dollar der achtreichste Mann der Welt war. Wohl niemals zuvor in der Geschichte hat ein Kandidat soviel Geld in so kurzer aus eigener Tasche für einen Wahlkampf ausgegeben, nämlich innerhalb von gut drei Monaten rund eine Milliarde Dollar. Das ging aus einem Bericht der Wahlkommission (FEC) zur Finanzierung der Kampagne hervor. Bloomberg hatte seinen Wahlkampf selbst finanziert und keine Spenden angenommen.

Mehr Spenden führen nicht zu besseren Wahlergebnissen

Bloomberg ist bei weitem nicht der einzige Kandidat, dessen Vermögen ihm nicht geholfen hat, bei den Vorwahlen nominiert zu werden. Der Republikaner Steve Forbes gab 69,2 Millionen Dollar aus, um die Nominierungen 1996 und 2000 zu gewinnen, gewann jedoch nur eine Handvoll Delegierte. Im Jahr 2020 gab der Milliardär und Hedgefonds-Manager Tom Steyer 200 Mio. Dollar seines eigenen Vermögens aus und gewann keinen einzigen Delegierten. Bei den GOP-Vorwahlen 2008 gab der wohlhabende Mitt Romney mehr als doppelt so viel aus wie John McCain – viel von seinem eigenen Geld -, aber McCain gewann die Vorwahlen. Die Koch-Brüder wurden von Kapitalismus-Kritikern stets als die gefährlichsten Pro-Kapitalisten dargestellt, aber wie schwer es ist, Geld in Politik umzumünzen, musste David Koch schon 1980 erfahren, als er massiv die Libertäre Partei unterstützte und für sie als Kandidat für den Vizepräsident ins Rennen ging: Er erzielte gerade einmal 1 Prozent der Stimmen.

Es gab in der Geschichte der amerikanischen Wahlkämpfe immer wieder sowohl Beispiele, wo demokratische Kandidaten vor allem von großen Spendern unterstützt wurden als auch solche, wo sie sich – wie im Fall von Bernie Sanders – eher auf kleinere Spender stützten. Bei den Vorwahlen von 2016 kamen 60 Prozent der Spenden für Sanders von Personen, die weniger als 200 Dollar spendeten

Das gleiche gilt auch für republikanische Kandidaten, wo es Kandidaten wie Barry Goldwater oder Patrick Buchanan gab, die viele kleine Spender mobilisierten und solche wie Jeb Bush, die vor allem von Großspendern unterstützt wurden.

Bradley A. Smith, ein ehemaliger Vorsitzender der Federal Election Commission, folgerte 2016 in einem Beitrag für die New York Times unter der Überschrift „The Power of Political Money is Overrated“: „Aber obwohl Geld wichtig ist, um die Öffentlichkeit zu informieren und allen Ansichten Gehör zu verschaffen, beweist diese Wahl wieder einmal, dass Geld die Wähler nicht dazu bringen kann, die Ansichten zu mögen, die sie hören. Jeb Bush ist nicht der einzige üppig finanzierte Kandidat, der aus dem Rennen ausscheidet… Das Übel des ‚Geldes in der Politik‘ wird bei weitem überschätzt.“

Eine Untersuchung auf Basis von Umfragen

Martin Gilens vertritt in seinem Buch „Affluence and Influence“ die These, dass wohlhabendere Wähler die Politik in den USA stärker beeinflussten als Wähler aus unteren Einkommensgruppen. Er hat 1923 Fragen aus Meinungsumfragen in den USA 1981 bis 2002 untersucht, ergänzt wurde dies durch Datensätze aus den Jahren 1964 bis 1968 und 2005/2006. Seine Methode: Er analysierte die politischen Ansichten der unteren, der mittleren und der oberen Einkommensgruppen und verglich dann deren Antworten bei Meinungsumfragen mit der Politik der Regierung in den auf die Wahlen folgenden Jahren. Er kritisiert eine „representational inequality“, die sich darin zeige, dass die Meinungen der unteren und z.T. auch der mittleren Einkommensgruppen weniger Chancen auf Umsetzung durch die Regierung hätten als die der oberen Einkommensgruppen. Bemerkenswert ist jedoch, dass dies zwar für religiöse Themen, für die Außenpolitik und für die Wirtschaftspolitik gilt, aber gerade nicht für „Social Welfare“, wie Gilens einräumt. Gerade in diesem wichtigen Bereich ließe sich nicht nachweisen, dass die Meinungen und Vorlieben von unteren und mittleren Einkommensgruppen weniger Einfluss auf die Politik hätten als die der oberen Einkommensgruppen, was daran liege, dass diese mächtige Lobbyverbände wie die AARP als Verbündete in der Politik hätten.

In der Wirtschaftspolitik dagegen, so Gilens, ließe sich nachweisen, dass die Meinungen unterer Einkommensgruppen weniger Chancen auf Verwirklichung der Politik hätten. Wie müsste eine Politik nach Meinung von Gilens aussehen, um in dieser Hinsicht eher den Meinungen unterer Einkommensgruppen gerecht zu werden? Er meint, die Politik müsse sich, um diesen Wünschen besser entgegenzukommen, für höhere Mindestlöhne, höhere Reichensteuern, mehr Regulierung und großzügigere Arbeitslosenunterstützung einsetzen.

Ob höhere Mindestlöhne, höhere Steuern für Reiche und mehr Regulierung wirklich im Interesse der Arbeiterschaft liegen, kann jedoch bezweifelt werden. Die beiden amerikanischen Präsidenten, die in den letzten Jahrzehnten am meisten dafür gescholten wurden, einseitig die Interessen der Reichen zu vertreten und zu viel Deregulierung betrieben zu haben, waren Ronald Reagan und Donald Trump. Beide haben in der Tat erhebliche Steuersenkungen für Reiche durchgesetzt und in einigen Bereichen auch dereguliert, aber dies hat Geringverdienern mehr geholfen als viele sozialpolitische Maßnahmen.

Linke Milliardäre reden, doch die Mehrheit der Milliardäre schweigt

Wenn man den Reichen einen Vorwurf machen kann, dann nicht, dass sie sich zu viel, sondern zu wenig politisch engagieren – das trifft jedenfalls für jene Reichen zu, die für den Kapitalismus sind. Während man die Stimmen von Kapitalismuskritikern wie George Soros oder Tom Steyer, die vehement für höhere Reichensteuern plädieren, laut vernehmen kann, äußern sich Anhänger des Kapitalismus selten öffentlich. Page und Gilens sprechen von dem „öffentliche Schweigen der meisten Milliardäre“. David Koch, der libertäre Standpunkte finanziell fördert, äußerte sich selbst in einer 10-Jahres-Periode gerade ein einziges Mal öffentlich zur Steuerpolitik. „Das öffentliche Schweigen der meisten Milliardäre“, so Page und Gilens, „steht in deutlichem Kontrast zur Bereitschaft einer kleinen, ungewöhnlichen Gruppe von Milliardären – darunter Michael Bloomberg, Warren Buffett und Bill Gates -, sich zu bestimmten politischen Themen zu äußern… Alle drei haben sich für ein umfangreiches soziales Sicherheitsnetz, progressive Steuern und eine moderate Regulierung der Wirtschaft ausgesprochen. Ein gewöhnlicher Amerikaner, der versucht zu beurteilen, was US-Milliardäre über Politik denken und tun, indem er Bloomberg, Buffett oder Gates zuhört, würde schwer in die Irre geführt werden.“

Diese Beobachtung ist richtig und verweist auf einen Kern des Problems: Der öffentliche Meinungsdruck in Richtung Kapitalismus-Kritik ist so groß, dass er sogar Milliardäre zum Schweigen bringt, während sich Reiche, die für höhere Reichensteuern und mehr staatliche Regulierung eintreten, freimütig äußern. Reiche, die den Kapitalismus für das überlegene System halten und die skeptisch gegenüber der übergroßen Rolle des Staates sind, sollten also mutiger sein und sich aktiver an der öffentlichen Debatte beteiligen.

Rainer Zitelmann ist Autor der Bücher “Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ und „Die Gesellschaft und ihre Reichen“.

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