FDP-Lindner: „Wir werden links regiert“ – „Offene Grenzen sind Anarchie“

Erschienen am 11. September 2016

Christian Lindner hat in einem Interview mit dem „European“ Merkels Politik wiederum scharf kritisiert: „Offene Grenzen sind kein Ausweis für Liberalität, sondern für Anarchie… Ich halte es für eine Kapitulation, wenn zeitweise gesagt wurde, dass es im Zeitalter der Globalisierung eine Illusion sei, Grenzen schützen zu können.“

Lindner kritisiert Merkel – wie schon in der Vergangenheit – mit deutlichen Worten. Der Schutz der Grenzen sei eine „Notwendigkeit in unserem wohlverstandenen Eigeninteresse. Alles andere ist ein humanitärer Narzissmus.“ Falsch sei auch die Aussage, „dass der Islam einfach da sei und schon deshalb zu uns gehört“. Eine solche Sichtweise passe nicht zu einer liberalen Bürgergesellschaft. Das Problem in Deutschland sei, „dass der Deutsche Bundestag gegenwärtig nur eine Versammlung der verschiedenfarbigen Sozialdemokratie ist. Der Bundestag repräsentiert das deutsche Volk links von seiner Mehrheit. Und wir werden auch links regiert.“

Das alles kann man nur dreimal unterstreichen. Schade, dass diese Positionen nicht mehr Gehör in den Medien finden. In einem Interview mit der Basler Zeitung (6. 9.) fragte der Redakteur den FDP-Vorsitzenden kritisch, es bestehe der Eindruck, „die FDP halte sich vornehm zurück, wenn es um Migration und Islam geht“. Lindner widersprach: „Der Eindruck, den Sie schildern, entsteht aus einem Grund: Die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland unterbelichten die FDP in der Berichterstattung.“

Auch das ist leider richtig. Die Medien laden lieber AfD-Politiker in Talkshows ein als jemanden wie Lindner oder Kubicki. Und lamentieren dann später über die Wahlerfolge der AfD. Aber die Schuld allein bei den Medien zu suchen, greift auch zu kurz und führt vor allem nicht weiter.

Die FDP versäumt es leider, ihre richtige Positionierung zur Kritik an Merkels Politik stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Aktuelles Beispiel: In Berlin, wo ich lebe, wird das Thema Einwanderung auf den Wahlplakaten der FDP komplett ausgeklammert. Stattdessen geht es in erster Linie um die Beibehaltung des Flughafens Tegel. Ich bin auch dafür, dass der Flughafen Tegel bleibt. Aber ich kann mir beim besten Willen keinen Wähler vorstellen, der wegen eines solchen Randthemas einer Partei seine Stimme geben würde. Wenn die FDP, was ich sehr hoffe, nächsten Sonntag die 5 Prozent-Hürde überspringt, dann bestimmt nicht deshalb, weil so vielen Menschen der Flughafen Tegel wichtiger als alles andere wäre. Natürlich wähle ich in Berlin trotzdem FDP und habe sie auch unterstützt.

Neulich habe ich in Berlin eine tolle Rede von Wolfgang Kubicki gehört. Er begann gleich mit dem Thema Einwanderung, weil dies das Thema sei, das die Menschen am meisten berührt. Wer auf die Website von Christian Lindner geht, wird auch zahlreiche Artikel und Interviews lesen, in denen er mit seiner scharfen Kritik an Merkel nicht hinter dem Berg hält.

Ich halte es jedoch für einen Fehler, wenn man die AfD-Wähler einfach abschreibt. Lindner sagte in dem oben zitierten Interview: „Ich glaube auch nicht, dass sich unter den Wählern der AfD noch viele bürgerliche Menschen befinden.“ Hier möchte ich Zweifel anmelden: Im aktuellen „Focus“ werden Umfragen zitiert, nach denen nur 24 Prozent der AfD-Wähler in Mecklenburg-Vorpommern diese Partei aus Überzeugung gewählt haben. Bei 67 Prozent stand der Protest gegen die anderen Parteien im Vordergrund. Die AfD-Wähler als frustrierte Loser abzutun, wie das in der öffentlichen Debatte getan wird, ist falsch: Bundesweit hat jeder vierte Wähler der Partei einen Universitäts- oder Fachschulabschluss, 28 Prozent haben ein Haushaltsnettoeinkommen über 3.000 Euro. In Mecklenburg-Vorpommern wählten von den Selbstständigen 27 Prozent die AfD, das war der drittgrößte Anteil in einer Berufsgruppe! Hier gibt es große Schnittmengen zur klassischen Wählerschaft der FDP. Soll man diese Wähler einfach der AfD überlassen?

Helmut Markwort hat neulich im Focus klar gesagt, wo die Chancen der FDP liegen: Bei den bürgerlichen CDU-Wählern, die mit Merkels Politik unzufrieden sind, aber die nicht AfD wählen wollen. Vielleicht auch deshalb nicht, weil die AfD inzwischen zu einigen Themen die Positionen der linken Parteien übernommen hat: So ist auch die AfD für den Mindestlohn und gegen die Freihandelsabkommen.


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Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.