Meldestelle für „Steuersünder“: Nur der erste Schritt: Wohin führt die Spitzelkultur?

Erschienen am 2. September 2021

In Baden-Württemberg haben die GRÜNEN eine Meldestelle eingeführt, bei der man anonym mutmaßliche „Steuersünder“ melden kann. Annalena Baerbock möchte das auch für ganz Deutschland. Doch das wäre nur der erste Schritt.

„Der Zweck heiligt die Mittel“ – dies war schon das Motto des SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans, der mit Steuergeldern Hehlerware einkaufte, um Steuersünder zu überführen. Der Denunziant bekommt einen schönen, modernen englischen Namen und heißt heute „Whistleblower“.

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszudenken, wohin das führt: Im nächsten Schritt könnte es anonyme Meldeplattformen geben, wo Menschen angezeigt werden, die gegen die Grundsätze „gendersensibler“ Sprache verstoßen oder verbotene Worte („Indianerhäuptling“, „Zigeunerschnitzel“) ausgesprochen haben. Und natürlich müsste es eine Meldestelle geben für Menschen, die gegen „Nachhaltigkeit“ verstoßen und z.B. dabei ertappt werden, dass sie den Müll nicht richtig getrennt haben. „Klimasünder“ wäre dann bereits derjenige, der den „Klimawandel leugnet“, und Leugner wiederum wäre natürlich jeder, der auch nur minimal abweichende Ansichten von der herrschenden Sichtweise äußert.

Und dann könnte in privaten Unternehmen ein regelrechtes Spitzelnetz implementiert werden. Alles nur weithergeholte Fantasien? Mitnichten!

Der britische Ökonom Paul Collier hat in einem Buch „Sozialer Kapitalismus!“, für das er 2019 den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis verliehen bekam, Vorschläge formuliert, wie der Kapitalismus „reformiert“ werden solle. „Die beste Methode, um diese Unzulänglichkeiten zu überwinden, besteht nicht darin, die Regulierung zu verstärken, sondern dem öffentlichen Interesse dort eine Stimme zu geben, wo die Entscheidungen getroffen werden: Es muss in den Leitungsgremien eines Unternehmens, in Vorstand und Aufsichtsrat direkt repräsentiert sein.” Im ersten Moment könnte man an „Politkommissare“ denken, wie es sie in totalitären Systemen gibt, die über die Einhaltung politischer Richtlinien wachen. Aber Collier hat eine andere Idee. Er fordert, die Gesetze so zu ändern, dass die Unternehmensführer gezwungen werden, nicht nur nach dem Interesse ihrer Firma zu entscheiden, sondern nach dem „Gemeinwohl“. So will er den Egoismus und die Gier eindämmen.

Wer das Gemeinwohl („public interest“) nicht beachte, so Collier, solle bestraft werden: „Wie kann dem öffentlichen Interesse in den Leitungsgremien am besten Geltung verschafft werden? Das entsprechende Gesetz könnte so geändert werden, dass die angemessene Berücksichtigung des öffentlichen Interessen für alle Mitglieder der Leitungsgremien verpflichtend vorgeschrieben würde. Aufgrund ihrer gesetzlichen Haftpflicht könnten Vorstands- und Aufsichtsratmitglieder, die sich über einen wichtigen Aspekt des öffentlichen Interessen hinwegsetzen, zivil- und/oder strafrechtlich belangt werden.“
Damit wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet. Denn „Gemeinwohl“ ist ein vager und dehnbarer Begriff, unter dem sich jeder vorstellen kann, was er will. Bei Collier ist nicht gemeint, dass sich das Management an gesetzliche Vorschriften halten soll (das ist ja auch heute schon so), sondern dass in seinem „sozialen Kapitalismus“ bei jeder unternehmerischen Entscheidung geprüft werden müsse, ob diese auch im „Gemeinwohl“ liege, was heute wohl heißt, dass sie in Übereinstimmung mit „Nachhaltigkeit“ steht, nicht den Klimawandel befördert und natürlich „Gender“-Gesichtspunkte berücksichtigt. Collier möchte, dass die ganze Gesellschaft einem „sozialen Maternalismus“ verpflichtet sein soll. Doch Collier hat sogar noch radikalere Ideen. Er will, dass Bürger die Rolle von „Polizisten“ spielen, die darüber wachen, dass die Unternehmen im öffentlichen Interesse handeln. Er meint damit nicht die staatliche Polizei, sondern durch von niemandem legitimierte, also selbsternannte Aktivisten, die die Unternehmen bespitzeln und kontrollieren sollen. „Jede Regulierung kann durch kluges förmliches ‚Abhaken von Kästchen’ unterlaufen werden; jede Steuerlast kann durch geschickte Buchführung verringert werden; jedes Mandat kann durch eigennütziges Denken manipuliert werden. Der einzige Schutz gegen derartige Handlungsweisen ist eine alles sorgfältig beobachtende ‚Polizei’… Die sanfte Aufsichtsfunktion erfordert nicht, dass sich alle daran beteiligen: Wenn eine kritische Masse Teilnehmer überschritten wird, werden die Risiken, die durch das Fehlverhalten von Unternehmen entstehen, untragbar hoch.“ Collier setzt darauf, dass sich in jedem Unternehmen genügend selbst ernannte Aktivisten finden, die diese Kontroll- und Spitzeltätigkeit mit Freude übernehmen: „Alle Unternehmen haben einen großen Pool an Mitarbeitern mit feinem ethischem Gespür, die bereit wären, eine zusätzliche Aufgabe zu übernehmen, und stolz darauf, Hüter des öffentlichen Interesses zu werden… Es besteht kein Mangel an hochmotivierten Menschen, die in Großunternehmen arbeiten und sich der Gesellschaft verpflichtet fühlen.“
Obwohl Collier sich in seinem Buch immer wieder zum Pragmatismus bekennt und gegen Ideologen und Populisten wettert, ähneln seine Ideen in erschreckender Weise totalitären Systemen. Wenn private Personen ohne jede Legitimation die Rolle einer „all-seeing police force“ (so die verräterische Formulierung in der englischen Originalausgabe des Buches) spielen sollen, die darüber wacht, dass die Eigentümer bzw. die Eigentümervertreter im Unternehmen im „public interest“ handeln, dann hat dies auf jeden Fall mit Marktwirtschaft und Kapitalismus nichts mehr zu tun. Vom Kapitalismus bleibt am Ende nichts mehr übrig als das bloße Wort: Zwölf Buchstaben, die aber ihrer eigentlich Bedeutung beraubt wurden.

Antikapitalismus führt immer zu Freiheitsbeschränkungen – und ich könnte mir gut vorstellen, dass eine Linksregierung in Deutschland sehr gerne Vorschläge wie die von Collier aufgreifen würde. Deshalb gilt: Der „Gemeinwohl“-Zweck heiligt nicht die Mittel und es gilt, den Anfängen zu wehren.

Folgen Sie mir auf Twitter.

Über den Autor