Kritiker sozialer Ungleichheit verweisen darauf, die Unterschiede in den Einkommen seien in den letzten Jahrzehnten größer geworden–so verdiene heute ein Manager im Verhältnis zu seinen Angestellten viel mehr als früher.
War „früher“ also das richtige Maß? Wohl kaum, denn die politischen Richtungen, die heute eine „zu große Ungleichheit“ beklagen haben das zu den früheren Zeiten, auf die sie heute gerne verweisen, auch schon getan. Die „guten alten Zeiten“ sind nur heute gut, früher waren sie aus Sicht der Kritiker genauso „ungerecht“.
Angestelltendenken zum Thema „Leistung“ und „Einkommen“
Sowohl in philosophischen „Gerechtigkeitstheorien“, aber auch im Alltagsverständnis vieler Menschen, soll die Belohnung, die jemand für seine Arbeit bekommt, im Verhältnis zu seinem Aufwand stehen. Aus der Forschung wissen wir, dass vor allem Angehörige unterer sozialer Schichten unter „Leistung“ meist die disziplinierte Erledigung einer bestimmten Menge von Aufgaben innerhalb einer vorgegeben Zeitspanne verstehen. Unter „Leistung“ verstehen die meisten Menschen sowohl den Zeitaufwand als auch die Intensität der Anstrengung oder der Bemühung einer Person. Ich nenne dies „Angestelltendenken“, denn es entspricht der Lebenserfahrung eines Angestellten oder Arbeiters, dass sein Lohn bzw. Gehalt proportional zur eigenen Anstrengung ist: Wer länger/mehr arbeitet, verdient auch in der Regel mehr. Dies sehen die meisten Menschen als „gerecht“ an.
Was sie nicht verstehen: Dieser Zusammenhang gilt nur für Arbeiter und Angestellte, aber er gilt gewiss nicht für Unternehmer. Bei dem Unternehmer zählt vor allem die gute Geschäftsidee. Wenn Sie sich die Liste der reichsten Menschen der Welt anschauen, dann sind diese meistens deshalb reich geworden, weil sie eine besondere unternehmerische Idee hatten und ein Produkt an den Markt brachten, das von vielen Konsumenten als nützlich anerkannt wurde. Das ist das kapitalistische Prinzip, das jedoch viele Menschen nicht verstehen. Nicht der Arbeitsaufwand, sondern der für die Gesellschaft geleistete Nutzen ist entscheidend.
Die Whatsapp-Gründer
Brian Acton und Jan Koum haben WhatsApp erfunden und 2014 für 19 Mrd. US-Dollar an Facbeook verkauft. Heute nutzen zwei Milliarden Menschen auf der Welt Whatsapp und können damit nicht nur Nachrichten versenden, sondern kostenlos telefonieren. Die beiden Whatsapp-Erfinder haben heute zusammen ein Vermögen von 13 Mrd. US-Dollar. Reich geworden sind sie durch eine Idee. Ist die Ungleichheit dadurch gestiegen, dass es jetzt zwei weitere Multimilliardäre gibt? Sicherlich. Hat es aber irgendwem geschadet, außer vielleicht Anbietern von teuren Telefontarifen?
Ideen sind entscheidend.
Und wie ist es mit Top-Managern?
Hohe Gehälter von Top-Manager sind bei Kapitalismuskritikern besonders stark in der Kritik, oft sogar noch mehr als das (meist viel größere) Einkommen von Unternehmern. Das liegt vor allem daran, dass Managergehälter oftmals öffentlich sind, d.h. jeder kann nachlesen, wie viel der Top-Manager eines börsennotierten Unternehmens verdient, während das bei Unternehmern in der Regel nicht so ist. Zudem stehen Manager bei vielen Menschen (auch bei solchen, die dem Kapitalismus wohlwollend gegenüberstehen) niedriger im Ansehen als Unternehmer.
Aber Managergehälter sind oft deshalb so hoch, weil sie sich im Spiel von Angebot und Nachfrage auf einem sehr engen Markt bilden – vergleichsweise dem Markt für Spitzensportler, wo sogar oft noch höhere Summen gezahlt werden. Dennoch ergab eine Befragung, die ich in sieben Ländern durchführen ließ, dass Top-Managern die hohen Gehälter bzw. ihr Reichtum von den meisten Menschen nicht gegönnt werden. Ich wollte wissen, warum viele Menschen so empfinden.
In Deutschland sagten 63 Prozent, sie fänden es unangemessen, wenn Manager 100 Mal so viel wie ein Angestellte (oder vielleicht noch mehr) verdienen, denn schließlich arbeiteten sie nicht so viel mehr und so viel härter als ihre Angestellten. Dieses Argument fand in der Befragung mehr Unterstützung als jede andere Begründung, warum Manager nicht so viel verdienen sollten. Darin spiegelt sich das Arbeitnehmerdenken wider, wonach sich das Gehalt vor allem daran bemisst oder bemessen sollte, wie lang und wie hart jemand arbeitet.
Arbeitnehmer projizieren damit ihre eigenen Leistungs- und Vergütungsmaßstäbe auf Spitzenmanager und glauben, es müsse eine enge Beziehung zwischen „harter Arbeit“ bzw. der Zahl der Arbeitsstunden einerseits sowie der Vergütung andererseits bestehen, die sie dann bei Managern als nicht gegeben ansehen. Das ist der Hintergrund, warum sie Managergehälter als überhöht empfinden, denn in der Tat wird man keinen Manager finden, der 100-mal so lang oder so hart arbeitet wie ein durchschnittlicher Angestellter. Kaum auf Verständnis stößt dagegen die Tatsache, dass Managergehälter durch Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Spitzenkräfte bestimmt werden. Lediglich jeder Fünfte in der deutschen Befragung meinte, Unternehmen könnten nur dann die besten Manager bekommen, wenn sie sehr hohe Gehälter (in der Umfrage wurden beispielhaft Gehälter genannt, die 100-mal über dem eines normalen Angestellten liegen) zahlen, weil diese Manager sonst bei anderen Unternehmen anheuerten, die mehr bezahlen, oder sich selbstständig machten. In anderen Ländern verhielt es sich ähnlich: Die meisten Menschen (insbesondere, aber nicht nur aus den unteren Einkommensgruppen) haben offenbar implizite Gehaltsvorstellungen, wonach das Gehalt sozusagen eine „Schweißprämie“ und eine Abgeltung für die Arbeitszeit ist.
Und was ist mit den hohen Abfindungen?
Wer hohe Managergehälter verteidigt, macht sich unbeliebt. Auch Verteidiger des Kapitalismus kritisieren diese Gehälter, weil Manager nicht in gleicher Maße für die Risiken haften wie Unternehmer. Was dabei übersehen wird: Manager verdienen dafür auch weit weniger als Unternehmer. Ich habe in den 15 Jahren als Inhaber einer kleinen Firma jedes Jahr so viel verdient wie Vorstände von Großkonzernen.
Ein anderes Argument, das man oft hört: Manager bekommen hohe Abfindungen, auch wenn sie versagt haben. Die Höhe der Abfindung wird jedoch ausgehandelt, bevor ein Manager anfängt, für eine Firma zu arbeiten. Sie ist Bestandteil des Gehalts-Paketes. Natürlich kann sich später herausstellen, dass das zu hoch war, weil der Manager nicht die erhofften Leistungen erbracht hat. Ebenso gut kann das Gehaltspaket zu niedrig sein, wenn der Manager eine bessere Leistung bringt – nur, dass darüber garantiert nie in den Medien berichtet wird. Es ist wie bei einem Spitzensportler, bei dem es sich herausstellen kann, dass die gezahlte Ablösesumme zu hoch war, weil er die erhofften Leistungen nicht erbringt. Um es zu wiederholen: Zum Zeitpunkt, wo ein Top-Manager oder ein Spitzensportler engagiert wird, hat man keine Gewissheit darüber, was er in der Zukunft leisten wird, sondern es ist eine Prognose auf Basis der in der Vergangenheit erbrachten Leistungen. Diese Prognose kann richtig sein, kann jedoch auch falsch sein.
Vergleicht man das, was ein Top-Manager an Leistung für sein Unternehmen erbringt, also an Mehrwert für das Unternehmen, dann sind sie im Durchschnitt nicht über-, sondern unterbezahlt, und dies ist ein Ergebnis der Unsicherheit. Man sieht das an Untersuchungen darüber, was mit dem Wert einer Firma geschieht, wenn ein CEO überraschend stirbt oder erkrankt: Der Wert der Firma fällt. Untersuchungen belegen, so Tyler Cowen: „CEOs capture only about 68 to 73 percent of the value they bring to their firms. For purposes of comparison, one recent estimate suggests that workers in general are paid no more than 85 percent of marginal product on average… In other words, workers actually seem to be underpaid by somewhat less that CEOs are, at least when both are judged in percentage times.”
Rainer Zitelmann ist Autor der Bücher “Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung” und “Die Gesellschaft und ihre Reichen”.