Warum ich gegen Volksentscheide bin!

Erschienen am 30. September 2021

Das Votum der Berliner für Enteignung hat mich in meiner Meinung bestätigt: Ich bin ganz grundsätzlich gegen Volksentscheide!

In Berlin haben sich 56,4 Prozent der Wähler für die Enteignung von Immobiliengesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen ausgesprochen. Ob der Volksentscheid umgesetzt wird, weiß man nicht. Ich bin nicht deshalb gegen Volksentscheide, weil mir dieses Ergebnis nicht passt, sondern ich schreibe seit Jahren ganz prinzipiell gegen Volksentscheide. Damit nehme ich eine krasse Außenseiterposition ein. Rechte, Linke, Liberale, fast alle sind dafür – die Grünen, die AfD, die Linke, die SPD, die CSU. Und leider steht es auch im Programm meiner eigenen Partei, der FDP: Mehr direkte Demokratie, mehr Volksentscheide.

Schaut man genauer hin, dann zeigt sich: Für Volksentscheide sind die meisten Politiker immer genau dann, wenn sie erwarten, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihrer eigenen Meinung zustimmt. Die Grünen waren stets Vorkämpfer für Volksentscheide – beispielsweise zu Themen wie Kernenergie. Aber wären sie auch für einen Volksentscheid zur Einwanderungspolitik oder zur Erleichterung von Abschiebungen?

Und wenn den Anhängern von Volksentscheiden eine Entscheidung nicht passt, dann setzen sie sie einfach nicht um. Beispiel: Am 24. September 2017 fand in Berlin parallel zur Bundestagswahl ein Volksentscheid über den Weiterbetrieb des Flughafens Berlin-Tegel statt. 56,4 Prozent der Teilnehmer sprachen sich für den Weiterbetrieb aus, 41,9 Prozent waren dagegen, 1,7 Prozent der Stimmen waren ungültig. Obwohl in Berlin drei Parteien regieren, die besonders laut für Volksentscheide eintreten, haben sie das Ergebnis ganz souverän ignoriert. So etwas nenne ich politische Heuchelei.

Hört man genauer hin, dann wollen die Parteienvertreter keineswegs zu allen Fragen Abstimmungen durchführen. Bestimmte Themen – vermutlich solche, bei denen man befürchtet, keine Mehrheit zu bekommen – sollen auch nach Meinung der Befürworter dann lieber doch nicht zur Abstimmung gebracht werden.

Das ist inkonsequent und unehrlich. Man kann sich nicht aussuchen, dass das Volk über Dinge abstimmt, bei einen man Zustimmung zur eigenen Position erwartet und nicht abstimmen darf, wenn man Ablehnung befürchtet.

Für Volksentscheide spräche in der Tat, dass die Bevölkerung insgesamt weniger „politisch korrekt“ ist als die politische Klasse. Mit den vermutlichen Ergebnissen von Abstimmungen zur Einwanderungspolitik oder zum Verbot von Zwangs-Genderei an Schulen und Universitäten könnte ich daher sehr gut leben.

Dagegen spricht, dass die Bevölkerung anfällig ist für Sozialpopulismus. Alles, was unter dem Schlagwort “soziale Gerechtigkeit” verkauft wird, fände wohl breite Zustimmung: Erhöhung des Mindestlohns, Begrenzung von Managergehältern, Vermögensabgabe für Reiche, Mietendeckel – ja sogar Enteignungen, wie man jetzt in Berlin gesehen hat. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik traue ich der Volksmeinung nicht: Im Zweifel ist man stets dafür, sich bequem aus allem “rauszuhalten”.

Auch auf kommunaler Ebene bin ich gegen Volksentscheide bzw. Volksbegehren. Flächendeckend werden in Deutschland immer wieder sinnvolle Projekte, zum Beispiel neue Einkaufscenter, durch Volksbegehren verhindert. Mobilisiert wird meistens von einer Koalition aus Gruppen, die Sonderinteressen vertreten (z.B. Einzelhändler, die den Wettbewerb fürchten) und linken Initiativen, die prinzipiell gegen alles sind. Besonders “Großprojekte” stoßen regelmäßig auf massiven Widerstand. Schon das Wort “groß” führt reflexartig zur Ablehnung. Die Berliner stimmten am 25. Mai 2014 über die Frage ab, ob der ehemalige Flughafen Tempelhof teilweise mit Wohnungen bebaut werden solle. 64,3 Prozent sprachen sich gegen eine Bebauung aus und vergrößerten damit die Wohnungsknappheit in Berlin, um dann sieben Jahre später wegen „Mietenwahnsinn“ für die Enteignung zu stimmen, von der man jetzt schon sagen kann, dass sie die Situation der Mieter mittelfristig ebenfalls verschlechtern wird.

Wenn es um das Thema Volksentscheide geht, wird von Befürwortern stets die Schweiz ins Feld geführt: In der Schweiz habe sich das Instrument bewährt. Ja, das stimmt. Die Schweizer haben bei den meisten Fragen sehr vernünftig entschieden, was damit zusammenhängt, dass sie eine sehr freiheitliche politische Kultur und Tradition haben. Ich habe jedoch hohe Zweifel, ob das in Deutschland ebenso wäre. So haben sich die Schweizer mehrheitlich gegen eine Begrenzung der Managergehälter auf das 20fache des niedrigsten Lohnes entschieden. Ob das in Deutschland auch so ausgehen würde?

Zu den besten Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehören jene, die Politiker gegen die Stimmung eines Großteils der Bevölkerung durchgefochten haben. Ein Beispiel dafür ist das Eintreten Helmut Schmidts für die Nachrüstung im Rahmen des Nato-Doppelbeschlusses. Wäre er hier nicht gegen den Widerstand weiter Teile der Bevölkerung und auch seiner eigenen Partei hart geblieben, dann wäre Ronald Reagan mit seiner Politik vielleicht nicht erfolgreich gewesen und Deutschland wäre immer noch ein geteiltes Land. Ein anderes Beispiel ist das Eintreten von Ludwig Erhard für die Marktwirtschaft in der frühen Nachkriegszeit. Damals herrschte eine starke antikapitalistische Stimmung in der Bevölkerung. Ich bin skeptisch, wie ein Volksentscheid zu der von Erhard vertretenen konsequent-marktwirtschaftlichen Linie damals ausgefallen wäre.

Was wir in Deutschland dringend brauchen, ist nicht “mehr (plebiszitäre) Demokratie” sondern mehr Rechtsstaat. Statt darüber nachzudenken, wie wir noch demokratischer werden, sollte man nachdenken, wie der Rechtsstaat wieder besser funktioniert. Ob beim Abschalten der Kernkraftwerke, in der Euro-Rettungspolitik oder in der Einwanderungspolitik: Stets wurden in massiver Weise rechtsstaatliche Prinzipien verletzt und bestehende Rechtsnormen und Verträge gebrochen. Leider gibt es eine große Lobby in Deutschland für mehr Plebiszite, aber keine entsprechend starke Lobby für den Rechtsstaat.

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