Wenn Banker sich verkleiden müssen und öffentliche Mordaufrufe nicht mehr für öffentliche Empörung sorgen

Erschienen am 30. März 2009

„Die gierigen Geldsäcke“ – so lautet die große Schlagzeile auf Seite 1 der BILD-Zeitung vom Samstag. „Sie sind so schamlos und so gierig, richtige Geldsäcke!“ schreibt BILD und bildet die Konterfeis der Dresdner Bank-Vorstände dazu ab. Falls die Manager ihre Boni nicht zurückzahlten, „sollte jeder Kunde der Dresdner Bank genau prüfen, ob sein Geld bei diesem Institut noch gut aufgehoben ist“, so fordert BILD die Leser auf. Zugleich druckt die Zeitung einen vorformulierten Leserbrief ab, den die BILD-Leser ausschneiden und an Angela Merkel schicken sollen. Die Banker, so heißt es in dem Brief, seien „dreist“, „skrupellos“, und „raffgierig“. Angela Merkel solle sich ein Vorbild an US-Präsident Obama nehmen, der massiv gegen solche Auswüchse vorgehe (das US-Repräsentantenhaus hatte eine rückwirkende 90%ige Steuer für Boni-Zahlungen an Manager der vom Staat gestützten Unternehmen beschlossen).

Noch aggressiver ist die Stimmung in anderen Ländern, wie FTD, HANDELSBLATT und WELT berichten. Die FTD berichtet am 26.3.: „Es wird persönlich. In Frankreich, Großbritannien und den USA werden Manager und Banker zur Zielscheibe des Zorns: Geiselnahmen, Morddrohungen, Angriffe auf das Eigentum. Es ist keine abstrakte Wut mehr auf ‚gierige Banker’ – die Drohungen und Bedrohungen sind ganz konkret.“ In den USA müssen inzwischen die Privathäuser von Angestellten der AIG durch private Sicherheitsdienste geschützt werden, weil deren Namen veröffentlicht wurden. Vor der Zentrale des Unternehmens in New York müssen zum Schutz Sicherheitskräfte mit Maschinenpistolen patroullieren. Und es werden sogar Bustouren zu den Privatvillen von AIG-Managern organisiert – die Organisatoren sagen: „Wenn sie nicht zu uns kommen, kommen wir eben zu ihnen.“

In einem öffentlichen Kündigungsschreiben, so berichtet die FAZ vom 27.3., wirft der hochrangige AIG-Manager Jake DeSantis Politikern wie den Generalstaatsanwälten von New York und Connecticut Einschüchterungsmethoden und eine Hetzjagd gegen Angestellte der Sparte Finanzprodukte vor. In dem Brief heißt es, dass nur eine Handvoll der derzeit 400 Angestellten der Sparte Finanzprodukte für die Kreditausfallversicherungen verantwortlich war, die zu den Verlusten geführt hat. „Die meisten, die dafür verantwortlich waren, haben das Unternehmen verlassen und sind der öffentlichen Empörung auffallend entkommen“, so zitiert die FAZ am 27.3. aus dem Brief.

Solche differenzierenden Betrachtungen finden in der Öffentlichkeit jedoch in diesen Tagen kein Gehör. In Großbritannien, so berichtet das HANDELSBLATT in einem Beitrag vom 26.3. unter der Überschrift „Britische Banker in Angst“, wurden erste Anschläge gegen Autos und Privathäuser von Bankern verübt – so gegen den ehemaligen Chef der Royal Bank of Scotland. Die Polizei in Großbritannien rät Bankern bereits, sie sollten angesichts der geplanten Proteste gegen den G20 Gipfel statt in Anzug und Krawatte in Jeans und Pullover zur Arbeit kommen. Einer der Organisatoren dieser Proteste, ein Professor für Anthropologie, hat in seinem Garten in Südlondon ein Plakat mit der Aufschrift „Hängt die Banker, bis sie tot sind“ aufgestellt. Wie wäre denn die Reaktion, wenn solche Mordaufrufe und Hetzparolen gegen andere Minderheiten artikuliert würden? Die Aufregung wäre, völlig zu Recht, enorm groß. Aber wer regt sich über die Hetzjagd gegen Banker und Manager auf?

In Frankreich, so berichtet das HANDELSBLATT vom 26.3., wurden bereits zum zweiten Mal binnen zwei Wochen Manager eines Unternehmens, in dem Arbeiter entlassen werden mussten, als Geisel genommen. In der WELT heißt es über die Situation in Frankreich: Es „häufen sich die Schlagzeilen über saftige Boni und Millionenabfindungen für Manager von angeschlagenen Firmen. Die von Entlassungen bedrohten Beschäftigten haben deshalb ein neues Druckmittel entdeckt: Sie besetzen Betriebe und nehmen ihre Chefs gefangen.“

Kritik am Fehlverhalten einzelner Banker und Manager ist legitim. Aber das öffentliche und undifferenzierte Anprangern einer ganzen Berufsgruppe ist gefährlich. Ich würde mich nicht wundern, wenn es bald terroristische Anschläge gegen Banker und Manager geben wird. Man kann nur hoffen, dass es dabei keine Toten geben wird.

Schon vor über einem halben Jahr habe ich in den IMMOBILIEN NEWS auf die verhängnisvolle Entwicklung hingewiesen: In jeder großen Wirtschaftskrise, deren Ursachen in ihrer Komplexität von den Menschen nicht begriffen wird, werden Sündenböcke gesucht, denen man die Schuld an allem geben kann. Offenbar wirkt es psychologisch entlastend, wenn man einzelne Personen oder Personengruppen identifizieren kann, die man für das Geschehen verantwortlich macht. Einer rationalen Analyse, die die Bedingung wäre, um etwas aus der Krise zu lernen, ist damit natürlich nicht gedient.

Über den Autor

Rainer Zitelmann ist einer der führenden Immobilienexperten und -netzwerker in Deutschland.

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